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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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sehr skeptisch und zwiespältig, teilweise eindeutig ablehnend reagieren, wenn sie in einem Kommunikationstraining einen authentischen, kooperativen Umgangsstil empfohlen bekommen. Oft beurteilen sie ihn als persönliche Bereicherung für das Privatleben, melden aber Zweifel an der Übertragbarkeit in den beruflichen Alltag an. Einige wiederum befürchten die Verfehlung ihres Lebenssinnes, nachdem sie den Karrierewettlauf über Jahre und Jahrzehnte (erfolgreich) mitgemacht haben und nun vom krisenhaften Gefühl befallen werden, am «Eigentlichen» vorbeizulaufen. In jedem Fall erweist sich das Thema («Kann ich mich so zeigen, wie ich wirklich bin?») regelmäßig als energiegeladen und persönlich bedeutsam – das «Kommunikationstraining» wird zur existenziellen Auseinandersetzung.
    Trotz dieser strukturellen «Zwänge» wäre es verfehlt anzunehmen, dass es keinen Spielraum der individuellen Persönlichkeitsgestaltung geben würde. Genauso verfehlt wäre die Annahme, dass sich erst die ganze Gesellschaft ändern müsse, bevor sich die menschlichen Verhaltensweisen ändern könnten. Vielmehr müssen, um voranzukommen, kleine Schritte auf individueller und gesellschaftlicher Ebene miteinander einhergehen (vgl. Schulz von Thun 1980).
    5.1
    Selbsterfahrungsgruppen
    Kleine Schritte auf individueller Ebene sind in Selbsterfahrungsgruppen möglich (z.B. Encountergruppen nach Carl Rogers 1974 oder Themenzentrierte Interaktionsgruppen nach Ruth Cohn 1975). Auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens lernen die Gruppenmitglieder, sich zu offenbaren und mit der Zeit auch «nicht-linientreue» Gefühle (vgl. S. 228) auszudrücken. Der Wert einer fassadenfreien Selbstoffenbarung liegt in Folgendem begründet: Ein ungünstiges Selbstwertgefühl («So wie ich bin, kann ich mich nicht vorzeigen!») ist nur dann korrigierbar, wenn eine gegenteilige Erfahrung überhaupt ermöglicht wird. Wird jemand von seinen Mitmenschen anerkannt und angenommen, so hat das nur dann einen therapeutischen Wert, wenn diese Annahme und Anerkennung ihm selbst gilt und nicht seiner vorgezeigten Fassade. Gewöhnlich leben wir mit der angstvollen Phantasie: Wenn ich mich so zeige, wie ich wirklich bin, mit allen Unzulänglichkeiten, dann werde ich von den anderen abgelehnt, dann stehe ich entweder abseits oder alle fallen über mich her. Eine solche Phantasie ist im normalen zwischenmenschlichen Leben sehr zäh und langlebig, da sie zum Aufbau von Schutzfassaden führt und somit gar nicht auf Realität überprüft werden kann. In Selbsterfahrungs- und Trainingsgruppen besteht die Chance, diese Realitätsüberprüfung vorzunehmen. Gewöhnlich stellen die Gruppenmitglieder verwundert-beglückt fest: Wenn ich etwas von meiner ungeliebten Seite preisgebe, werde ich nicht nur nicht abgelehnt, sondern rücke den anderen sogar näher! Ich darf so sein, wie ich bin – und es ist gut so.
    In einer Untersuchung von Yalom u.a. (1974) wurden Gruppenmitglieder, die von einer Gruppentherapie stark profitiert hatten, danach gefragt, welche Erfahrungen in der Gruppe für sie am bedeutsamsten waren. Hier die fünf am häufigsten gegebenen Antworten:
     
Das Entdecken und Akzeptieren mir früher unannehmbarer Teile meiner selbst (positive wie negative);
sagen zu können, was mich gestört hat, anstatt es für mich zu behalten;
dass andere Gruppenmitglieder mir ehrlich sagen, was sie von mir halten;
zu lernen, wie ich meine Gefühle äußern kann;
zu lernen, dass ich die letzte Verantwortung dafür tragen muss, wie ich mein Leben lebe, gleichgültig, wie viel Rat und Unterstützung ich von anderen bekomme.
    5.2
    Hilfsregeln
    Ruth Cohn (1975) hat einige Hilfsregeln formuliert, die einen authentischen Umgangsstil fördern; sie gelten nicht nur für Selbsterfahrungsgruppen, sondern z.B. auch für Lern- und Arbeitsgruppen. Einige Beispiele:

     
Vertritt dich selbst in deinen Aussagen; sprich per «ich» und nicht per «wir» oder per «man».
Wenn du eine Frage stellst, sage, warum du fragst und was deine Frage für dich bedeutet. Sage dich selbst aus und vermeide das Interview.
Sei authentisch und selektiv in deinen Kommunikationen. Mache dir bewusst, was du denkst und fühlst, und wähle, was du sagst und tust.
Halte dich mit Interpretationen so lange wie möglich zurück. Sprich stattdessen deine persönlichen Reaktionen aus.
Beachte Signale deines Körpers. Er kann dir oft mehr über dich sagen als dein Verstand.

    Solange ich diese Regeln als Leitlinien für mich

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