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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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innere Verfassung des Empfängers und die Forderungen der Lage gehören. – Im Einzelnen:
    Mich fasziniert der Gedanke, dass es eine mir eigene existenzielle Leitlinie gibt, die meinem Leben Richtung, Sinn und ein bestimmtes «Thema» gibt – und dass das Voranschreiten entlang und im Einklang mit dieser Leitlinie «Stimmigkeitserlebnisse» mit sich bringt – hingegen die Entfernung davon zu «Abweichungssymptomen» verschiedener Art und Tragweite –, von der kleinen «Verstimmung» bis hin zur großen Depression, zu Lebenskrisen und Krankheiten führt. Aus dieser Sicht heraus werden solche leidvollen Symptome sinnvoll: enthalten sie doch Botschaften aus der Sendezentrale unbewusster Weisheit und einen Appell zur Kurskorrektur. Von daher lohnt es sich, hellhörig zu sein für solche unbewussten Botschaften, die sich in Gefühlen, Körpersignalen und Träumen eher offenbaren als in vernünftigen Überlegungen. Es gibt zahlreiche Methoden und Hilfestellungen, diese «Intelligenz des Herzens» aus dem «inneren Jenseits» (Cohn 1975) vernehmbar zu machen, am bekanntesten und aussichtsreichsten die Meditation.
    Stimmigkeit ist dann gegeben, wenn meine Kommunikation (und mein gesamtes Handeln) in jedem Augenblick dem Anliegen meiner Existenz entspricht und dabei den Ausdruck häufig höher gewichtet als die Wirkung (vgl. S. 66 und 242ff.). Was heißt das – «den Ausdruck höher gewichten als die Wirkung»? Ich habe oft Zustände um mich herum hingenommen, die ich für unwürdig oder sinnlos hielt, mit der Begründung vor mir selbst, es «nütze ja doch nichts», wenn ich dagegen aufbegehre. Wegen der vermuteten Wirkung(slosigkeit) habe ich den Ausdruck meiner Position, meiner Gefühle dazu unterlassen und mir damit zwar Konflikte, Misserfolge und Aufregungen erspart, aber auch Lebendigkeit und Glück. Wer Stimmigkeit anerkennt, für den wird das Erreichen der gewünschten Wirkung zweitrangig (nicht: nebensächlich). Ich vermute heute, dass ich mich in meinem ganzen bisherigen Leben zu sehr an den (vermuteten) Wirkungen meiner Handlungen orientiert habe und mich damit in einen ähnlichen Phantasie-Käfig begeben habe, wie er in Abb. 32 (S. 84) dargestellt war. Tatsächlich ist das Wirkungsgeflecht einer Handlung unmöglich vorauszusagen. Die einzige Möglichkeit, die Wirkungen zu erfahren, besteht darin, die Handlung zu riskieren und sich überraschen zu lassen.
    In erster Annäherung habe ich «Stimmigkeit» bestimmt als «das mir Gemäße» in einem gegebenen Augenblick. Im Unterschied zur Authentizität ist dabei nicht nur die Übereinstimmung zwischen innerem Zumutesein und äußerem Gebaren impliziert, sondern übergreifend auch die Übereinstimmung mit den Anliegen meiner Existenz. Dieser Gesichtspunkt ist wichtig, denn wenn ich meinen Freund aus der Gefangenschaft fremder Mächte befreien will, muss ich unter Umständen lügen und täuschen und ein ehrliches Gesicht dazu machen. Mein Verhalten wäre nicht authentisch, könnte aber durchaus stimmig sein.
    In zweiter Annäherung zur Begriffsbestimmung möchte ich die äußere Situation miteinbeziehen. «Stimmig» heißt jetzt: in Übereinstimmung mit dem Charakter der Situation (wie ich sie definiere). Wenn eine Lage ein schnelles Handeln erfordert, werde ich u.U. lautstarke Befehle geben und nicht viel danach fragen, wie sich der Empfänger dabei fühlt. Wenn ich jemandem mitzuteilen habe, dass er entlassen wird, werde ich nicht gerade jetzt ausführlich seine Vorzüge aufzählen (auch wenn es stimmt: in dieser Situation stimmt es einfach nicht!). Als Tennislehrer werde ich meinem Schüler Tipps und Rückmeldungen geben, vielleicht nach jedem Schlag, als Tennispartner meiner Frau ist dasselbe Verhalten vermutlich belehrend und überheblich. Ein extremes Karikaturbeispiel gibt es bei dem Humoristen Jürgen von Manger: Ein Henker unterhält sich kurz vor der Hinrichtung mit dem Delinquenten und berichtet ihm von seinen Sorgen, noch rechtzeitig mit der Straßenbahn nach Hause zu kommen usw. – Sehr wesentlich zum Charakter der Situation gehört die Art der Beziehung zum Empfänger und dessen innere Verfassung. Rückhaltlose Offenheit und Intimität setzt eine andere Beziehung voraus als ein höfliches Sachgespräch; ist der andere verletzt, verstört oder abgelenkt, kann ich ihm nicht von meinem letzten Urlaub erzählen.
    Als wichtige Leitfrage zur Erreichung von Stimmigkeit (oder zur Aufdeckung von Unstimmigkeit) sehe ich an: «Was ist die Wahrheit der

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