Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
Verhalten, das rollengemäß ist und dem Charakter der Situation gut entspricht, jedoch mit dem inneren Selbst nicht übereinstimmt – anders ausgedrückt: ein Verhalten, das durch Aufstellung einer situationsgerechten Vordermannschaft bei gleichzeitiger Verbannung einer unopportunen Hintermannschaft zustande kommt. Dies ist das klassische Ideal des zivilisierten Menschen, der, welch allzu menschlichem Sturm und Drang er innerlich auch immer ausgesetzt sein mag, sich zu kontrollieren und korrekt zu benehmen fähig ist. Er weiß, was sich gehört, und kann sich notfalls gut verstellen.
In Reinkultur finden wir dieses Ideal im japanischen «tatemae» (Meckel 1989), in der Kunstfertigkeit der allzeit untadeligen Kommunikation, vollkommen gereinigt von jeglicher «honne» (wahrhaftiger innerer Realität). Wir finden dieses Ideal aber auch bei uns, besonders im professionellen Kontext: Die Stewardess soll mich freundlich und lächelnd bedienen, egal wie ihr innerlich zumute ist; der Urlaubsanimateur soll freundschaftlich auf die Gäste zugehen, auch wenn er sie entsetzlich findet (vgl. S. 231); der Arzt soll sich geduldig auf mich einstellen, wie auch immer gereizt und grimmig sein eigener Bauch sich anfühlen mag; der Polizist soll Ruhe bewahren, auch wenn er angepöbelt wird. Die neue Tugend der «Kundenorientierung» verlangt vom Dienstleistenden eine nicht geringe Umstellung, im wahrsten Sinn unseres Modells vom Inneren Team.
Dieses Verhalten, bei dem das Situationsadäquate auf Kosten des Authentischen überwiegt, hat eine begrüßenswerte und eine gefährliche Seite; im ambivalenten Bedeutungshof des Wortes «angepasst» kommen beide Seiten zum Ausdruck. Begrüßenswert, wenn ich mein Ich dort hintanstellen kann, wo es nicht ins Zentrum gehört, wo es sich dem sachlichen Gelingen unterordnet, wo es dem System dient, von dem es ein Teil ist. Das Wesen der Professionalität eines Menschen besteht darin, dass er sein Verhalten rollen-, situations- und zielgerecht auszurichten weiß und dass ihm seine psychische Dynamik dabei nicht in die Quere kommt. Ein Großteil der Schulung von Führungskräften, Mitarbeiterinnen, Verkäufern, Beraterinnen dient genau diesem Ziel.
Die gefährliche Seite: Wenn sich eine Spaltung zwischen situationsperfekter Profimannschaft und «menschelnder» Hintermannschaft verewigt, wenn Außendienst und Innendienst in einen Dauerkonflikt geraten, dann steht die seelische Gesundheit auf dem Spiel (vgl. S. 266ff.). Eine weitere Gefahr: Dass die situative Korrektheit auf Kontexte und Beziehungen übertragen wird, die eher den ganzen Menschen verlangen und nicht nur seine Profi-Fassade, zum Beispiel in Teams, in Familien, in der Partnerschaft, im Unterricht usw. Dafür kann das Beispiel des jungen Bankmitarbeiters stehen, dessen Teamverhalten äußerlich brav und angepasst war und der seinen Kollegen und Chefs all das vorenthielt, was sonst noch in ihm steckte – mit schädlichen Folgen für das Menschliche und für das Professionelle.
Die Gefahr besteht also, dass sich der Mensch zu einer funktionierenden Marionette reduziert, die von den Fäden situativer Vorschriften und Erwartungen gezogen wird, ohne eine eigene Stellungnahme einzubringen, vielleicht ohne sie überhaupt zu haben. Wenn die Anpassung zur überwertigen Tugend wird, bleiben wichtige Gegentugenden unterentwickelt, nämlich Selbstbewusstsein und Zivilcourage, unbequeme Ehrlichkeit und jene Vitalität, die ihre Kraft aus dem Zentrum des ureigenen Fühlens und Wollens bezieht.
Stimmig
Nach den kurzen Visiten in den Feldern 2, 3 und 4 kommen wir nun zum Ausgangsfeld 1 zurück. Da wir dem japanischen Ideal des Tatemae nicht anhängen können und wollen und da wir andererseits auch nicht anstreben können, unser Selbst, unabhängig von den situativen Erfordernissen, möglichst unverfälscht zum Ausdruck zu bringen, bleibt uns nichts anderes übrig, als die Übereinstimmung dessen, was die Situation verlangt, mit dem, was uns selbst zutiefst entspricht, wenn irgend möglich herzustellen. Ein solches Verhalten ist zugleich fast immer ein wenig mutig, zivilcouragiert, ehrlich, erfordert jenes Zu-sich-selber-Stehen, das unter Opportunitätsgesichtspunkten stets auch etwas riskant ist, denn ich werde als Mensch greifbar und angreifbar. Und zugleich berücksichtigt es in konstruktiver Weise all das, was die Situation und ihre Einbettung in die weiteren Lebensverhältnisse gebietet, stellt sich dienend zur Verfügung und sucht den
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