Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Angst vor der entstehenden Stille – er fand dann heraus, dass diese ihn an Tod erinnerte. Möglicherweise provozieren Schweigepausen die Konfrontation mit der inneren Leere, mit jenem «toten» Teil in einem selbst, der durch ständige äußerliche Quicklebendigkeit nicht gespürt werden muss. Wieder einmal sehen wir, dass jede Art von Kontaktverhalten einen integralen Teil des seelischen Gleichgewichts darstellt und nicht einfach durch Ermahnungen oder eigene Vorsätze verändert werden kann. Wenn jemand im experimentellen Schonraum einer Trainingsgruppe unter Anleitung sein übliches Muster einmal probehalber durchkreuzt, kriegt er es oft mit genau den Ängsten zu tun, die sein Normalverhalten einzudämmen gestattet. Haben diese Ängste einen sehr frühen und traumatischen Ursprung – sitzen sie also tief –, ist eine psychotherapeutische Bearbeitung angeraten – jedenfalls dann, wenn er unter seinem Verhalten leidet und es (= sich) ändern möchte. Sind die Ängste von geringerer Intensität, besteht die Möglichkeit, das alternative Verhalten immer wieder zu erproben und das einhergehende Magengrummeln als Wegbegleiter des inneren Wachstums zu akzeptieren.
Wir haben das Innehalten als charakteristische Intervention ausgemacht, das Muster des Mitteilungsfreudigen wirkungsvoll zu durchkreuzen. Es dient nicht nur dazu, zwischenmenschliche Stille aufkommen zu lassen und auszuhalten. Wenn man den Mitteilungsfreudigen just in einem Moment auffällig erhöhter Redseligkeit zum Innehalten einlädt, kann er auch der Frage nachgehen: Was genau ist jetzt los? Wie geht es mir? Was möchte ich im Augenblick, woran ist mir gelegen – und was möchte ich vermeiden? Gibt es etwas, wovon ich durch mein tausendfältiges Erzählen ablenken möchte? Zum Beispiel von einer bestimmten Peinlichkeit, von meinem schlechten Gewissen, oder von etwas, was mir nahegeht (Abschied, Traurigkeit, Dankbarkeit …)? Oder von meiner vermeintlichen Hohlheit (Substanzlosigkeit), die der Gesprächspartner entdecken könnte?
Offenbar ist es auch möglich, sich das Innehalten selbst zu verordnen. Die zitierte Studentin (vgl. S.275) berichtet über gute Erfahrungen mit einem
«Trick, der sonst Menschen empfohlen wird, die leicht in Rage geraten, nämlich bis zehn zu zählen, bevor sie losgehen. Das heißt, bevor ich zur dramatischen Aktion durchstarte, erst einmal einen Blick nach innen werfen und nachforschen, wie es mir geht, welche Sehnsüchte und Bedürfnisse der Auslöser solchen Verhaltens ist. Ich merke dann, wie ich ruhiger werde, die Notwendigkeit zur Dramatik sinkt, ich mich selbst erfahre und mein Selbstvertrauen wächst.»
Kommen wir nun zu einer weiteren Gefahr, die dieser Stil birgt: Bereitschaft und Fähigkeit zur Selbstkundgabe verkommen zur monologischen Selbstbezogenheit , wenn sie nicht gepaart sind mit einer dialogischen Bezogenheit auf den Partner, die diesen immer wieder einlädt, seine Gedanken und Empfindungen den eigenen entgegenzuhalten, um so etwas Neues entstehen zu lassen. Freilich gibt es auch ihn, den ewig geduldigen Zuhörer, dem es immer wieder gelingt, den anderen zum Sprechen zu bringen und der sich vom Mitteilungsfreudigen etwas abgucken sollte; wie immer überkreuzen sich die Entwicklungsrichtungen:
Wie ist diese «dialogische Partnerbezogenheit» übungsweise zu bewerkstelligen? Da gibt es klassische Schulungsangebote: «Aktives Zuhören» und «Kontrollierter Dialog» (bei welchem die eigene Stellungnahme immer erst gesagt werden darf, nachdem der soeben geäußerte Standpunkt des anderen mit eigenen Worten wiedergegeben worden ist). Tatsächlich berichtet die Studentin, die bei sich das «Drehen um den eigenen Kreis» (vgl. Zitat S. 275f.) als typisch und schmerzlich empfunden hatte:
«Jetzt halte ich mich oft bewußt zurück oder versuche mich im Redestrom zu unterbrechen. Meine Rettung ist dann, dem anderen eine Frage zu stellen und ihm dann zuzuhören. Ich glaube, das Wort ‹zuhören› war vorher ein Fremdwort für mich … Eine große Hilfe auf diesem Weg war mir das Erlernen der Gesprächspsychotherapie. In so einem Gespräch muß man sich einfach aus der Mitte nehmen, nur zuhören und den anderen in sich aufnehmen.
Das ist für mich wie ein Licht, das mich aus der dunklen Einsamkeit des Zentriertseins auf mich selbst herausholt: aktives Zuhören.»
Das bewegende Moment ist hier nicht die Gesprächstechnik, sondern die Änderung der Einstellung: die vollkommene Zentrierung auf den Partner, ohne
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