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Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Titel: Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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oft so, daß ich denke, ich brauche etwas – und dann bin ich nur müde und erschöpft! Zum Beispiel neulich, als wir …»
    Was bei diesem etwas sorglosen «Plappern» wiederum auffällt, ist der Mangel an Selektion, an innerer Vorauswahl dessen, was für diesen Gesprächspartner in dieser Situation interessant sein könnte. Die Kontaktarmut führt dazu, dass der Mitteilungsfreudig-Dramatisierende trotz aller sprudelnden Vergnügtheit von seiner Not nicht erlöst wird. Eine Studentin, die begonnen hatte, all dieses bei sich zu erkennen, berichtet:
«Ich habe begriffen, daß ich eigentlich sehr einsam bin und anderen Menschen auf diese Art und Weise, obwohl sie ungeheuer viel von mir wissen, eigentlich nicht an mich heranlasse. Ich habe das Gefühl, mich immer in einem Kreis um mich selbst im Mittelpunkt zu drehen und mir sehnlichst gewünscht, aus der Mitte zu gehen, hin zum Rand, von wo aus ich rein- und rausschauen kann …»
    Wenn in Selbsterfahrungsseminaren der Kunstfehler begangen wird, diese Art von Selbstoffenbarungsfreudigkeit zu feiern und zu fördern, gewöhnen sich die Teilnehmer hinterher eine «Psycho-Geschwätzigkeit» an, die in nimmermüder Nabelschau und im einschlägigen Jargon das Dickicht der eigenen Innenwelt durchforstet. Gefährlich ist, dass dies im (falschen) Bewusstsein einer «psychologischen Aristokratie» erfolgt und es so schwieriger wird, die entstehende Kontaktlosigkeit als solche zu erkennen. Rückblickend bezeichnet ein Student Gespräche, die er so bei sich selbst erlebt hat, als «Einbahnstraßen und Sackgassen»:
«In der … Zeit … bezog ich mich nur auf mich. Wenn mir jemand etwas erzählte, benutzte ich dies nur, um ihm dann mitzuteilen, was es mit mir ‹macht›. Dabei waren wir dann kurz und schnell bei mir und meinen Schwierigkeiten, die Probleme des anderen spielten überhaupt keine Rolle mehr. Ein Gespräch, in dem mir kein ‹Aha-Erlebnis› vermittelt wurde, war für mich nur small talk, und mein neu eingeschlagener Selbsttrip in meine Innenwelt verpflichtete mich, dann auch das zu sagen. Der auf diese Weise gegangene Weg wird zur Sackgasse, auf Einbahnstraßen gibt es kein Zurück. Ich brauchte die anderen eigentlich gar nicht, es sei denn als Katalysator, um mich noch mehr mit mir zu beschäftigen. Die hatten das bald herausgekriegt, und einige ließen mich so, wie ich eben schon war, allein.»
    Wieder begegnen wir dem Element von «Pseudo-», hier einer Pseudo-Offenheit, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Betreffende sein Sprechen darauf ausrichtet, vor sich selbst (und – zweitrangig – vor dem anderen) als «offen» dazustehen. Die Kommunikation hat ihren Inhalt, ihren Text verloren und wird zum Mittel der Selbstvergewisserung.
    Wir haben verschiedene seelische Ziele ins Auge gefasst, für die der mitteilungsfreudig-dramatisierende Stil ein taugliches Mittel sein kann: beachtet zu werden, eine innere Leere mit Lebendigkeit zu füllen, das eigene Selbsterleben selbstbildverträglich zu manipulieren. – Im Falle nimmermüder Redseligkeit, ohne Punkt und Komma und ohne dem Gegenüber die Möglichkeit zu lassen, irgendwo nachhaltig einzuhaken, mag noch folgende unbewusste Zielsetzung dazukommen oder ausschlaggebend sein: die vollständige Kontrolle über die Situation , über den Kontakt. Wer einen Kontakt dialogisch anlegt, muss damit rechnen, dass Themen, Gedanken und Gefühle aufkommen, auf die er gar nicht «gefasst» war, dass vielleicht Fragen gestellt oder Punkte angesprochen werden, die ein inneres Tabu berühren. Wer davor große Angst hat, spricht am besten nur selbst: So behält er das Geschehen vollständig in der Hand.
    Er oder sie ! Überwiegend sind es immer wieder Frauen, die sich in den Vorlesungen bei diesem Stil «erkannt» fühlen. Dies wäre auch in Übereinstimmung mit der frühen Beziehungsdynamik in der Familie (vgl. S.231f.); auch damit, dass in unserer Gesellschaft traditionell beim Mann die Leistung (= sich beweisender Stil) und bei der Frau die Attraktivität (= mitteilungsfreudig-selbstdarstellend) zählt. Dennoch: Alles steckt in jedem, und auch bei vielen Männern kommt diese Seite gelegentlich und bei einigen häufig zum Vorschein.
    8.2
    Der systemische Blickwinkel
    In welchem zwischenmenschlichen Interaktionszusammenhang kann die mitteilungsfreudige-dramatisierende Strömung gedeihen? Oft sind es die eher kontrollierten, gehemmten Beziehungspartner, die ihr Leben – einschließlich ihres Gefühlslebens – auf «Nummer

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