Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
gerichtet – der Beziehungspartner ist nur «Komparse» in dieser Szenerie, notwendig, damit sie überhaupt zustande kommen kann (Mentzos, 1986, S.197).
Häufig ist es auch ein Ziel dieses Verhaltens, die eigene innere Leere aufzufüllen. Um sich selbst zu spüren, braucht der hysterische Mensch starke Erlebnisintensitäten, die er sich durch emotionale Überdosierung zu verschaffen weiß. Aus diesem Erlebnishunger rührt die ständige Suche nach starken Reizen, nach Abwechslung und nach neuen Erfahrungen (bis hin zu riskanten, lebensbedrohlichen «Grenzerfahrungen»). Für die Kommunikation bedeutet dies, dass der Betreffende viel Aufregendes zu berichten weiß, da er es bewusst oder unbewusst so einrichtet, dass in seinem Leben «dauernd etwas los ist». Nehmen wir den Originalton von S.274 wieder auf:
«Aber mir passieren oft die unglaublichsten Geschichten, zum Beispiel neulich mußte ich von Hannover unbedingt nach München, und ich habe mich so beeilt – aber was glaubst du: Gerade in dem Augenblick, wo ich mit fliegenden Fahnen den Bahnsteig erreiche, sehe ich noch gerade das Ende des Zuges um die Kurve biegen! Du lieber Gott! Ich meine, ich bin unpünktlich, das gebe ich zu – aber hier war auch wirklich Pech dabei! Aber dann auch wieder Glück im Unglück: Bin ich doch da auf dem Bahnhof einem ganz netten Mann begegnet, der hatte ein Auto dabei und wollte zwar nun nicht gerade nach München fahren, aber nach Flensburg! Der hat mich dann gefragt, ob ich mitfahren will – und da habe ich gedacht: Ja, warum eigentlich nicht? Das ist ja bei mir oft so, daß sich mein wahres Ziel erst mit der Zeit herausstellt, du kennst mich ja. Und die Fahrt nach Flensburg war absolut irre! Unterwegs haben wir noch zwei Anhalter mitgenommen, wahnsinnige Typen! Besonders der eine, also … (lacht und lacht und will sich nicht wieder beruhigen) – der hat mir noch während der Fahrt einen Heiratsantrag gemacht, aber völlig ernst gemeint! Ich habe auch erst zugesagt, aber dann nachher habe ich gemerkt, das war wohl ein freundlicher Irrtum! – Ach, und das ging nachher noch weiter in Flensburg …»
Der zuhörende «Normal-Mensch» gewinnt – halb kopfschüttelnd, halb neidisch – den Eindruck, dass sich derlei Aufregendes in seinem Leben nie zuträgt. Möglich sogar, dass ihm der Verdacht aufdämmert, ein etwas eintöniges und langweiliges Leben zu führen, in welchem sich nichts wirklich Berichtenswertes zuträgt. So bleibt ihm nur die Rolle des gebannten Zuhörers; er gibt gelegentliche Rückmeldungen von Überraschung, Faszination und von mitfiebernder Anteilnahme. Das Spiel ist perfekt: Der Mitteilungsfreudige fühlt sich bestätigt und kommt nun erst richtig in Fahrt. Sollte der Gesprächspartner noch nicht ganz mutlos geworden sein und sich bei Gelegenheit anschicken, etwas von sich selbst zu berichten, so wird er ihm mit der Wendung «Ja, ja, das kenne ich von mir auch, und zwar …» das Staffelholz schnell wieder entreißen. Dieser «ego-trope» («zum Ich hingewandte») Kommunikationsstil trägt – genauso wie die Austauschbarkeit des Empfängers – dazu bei, dass das Gespräch sich wenig dialogisch entwickelt :
Abb. 41
«Egotropes» Kommunikationsmuster des mitteilungsfreudig-dramatisierenden Stils
Einen Kollegen, der von dieser Strömung gelegentlich erfasst war, habe ich einmal mit der Bemerkung unterbrochen: «So, jetzt müssen wir aber auch einmal von mir reden!» – und seine schelmenhafte Replik war: «Ja, ja, genau! Jetzt müssen wir mal von dir sprechen: Wie gefällt dir mein neues Buch?»
Die eigene Person ist – direkt oder indirekt – das liebste Thema des Mitteilungsfreudigen. So kann es sein, dass wir über den durchaus wechselvollen Verlauf seiner Befindlichkeit nahezu lückenlos auf dem Laufenden gehalten werden: Über Appetit und Verdauung, über körperliche Reaktionen, Krankheiten und Gefühlsstimmungen, über die Details des Tagesverlaufes und die jeweiligen Gedanken und Assoziationen dazu, kurzum über alles, was so einem Menschen von außen und innen widerfährt:
«Und dann hatte ich unterwegs plötzlich so einen tierischen Hunger, obwohl ich extra noch zu Hause eine Scheibe mehr gegessen hatte; und obwohl es die anderen eilig hatten, habe ich gesagt: ‹Ist egal, Leute, ich muß sofort etwas essen!› und dann sind wir eingekehrt, und dann ging es auch wieder! Zwischendurch habe ich gedacht, ich brauchte vielleicht nur eine Pause – das geht mir auch in anderen Situationen
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