Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
sicher» anlegen, welche mit Faszination nach den Mitteilungsfreudigen und Dramatisierenden Ausschau halten, um sie an sich zu binden. Dies geschieht in der Hoffnung, dass jene expressiven Partner ihnen «Leben in die Bude» bringen, das sie selbst entbehren: Als identifizierter Zuschauer, der dem anderen gebannt an den Lippen hängt, nehmen sie nun doch am aufregenden Leben teil und entgehen so der Monotonie, die der eigene Charakter hervorzubringen neigt. – Zitat einer Studentin:
«Ich weiß, daß ich viel zuviel unbedacht drauflosrede. Oft bemerke ich es, aber ich kann es nicht lassen. Bei bestimmten Menschen passiert es mir immer wieder. Besonders bei meinem Partner. Er fordert mich geradezu heraus dazu. Ich möchte ihm schon auch einmal gerne zuhören, aber bei ihm passiert überhaupt nichts Spannendes. Er drängt sich auch nicht gerade um die Position des Erzählenden.»
Der komplementäre und so weit durchaus harmonische Kreislauf sieht folgendermaßen aus (s. Abb. S.285).
Meistens ist dies jedoch nur die eine Seite der Medaille. Mit der Zeit wird auch das Dramatische langweilig, der mangelnde Kontakt und die Reduzierung des Partners auf einen Claqueur lassen ihn enttäuscht und ungeduldig werden – Faszination und «Genervtheit» liegen plötzlich eng beieinander. In dem Maße aber, wie er sich nun gereizt abwendet, den Kontakt unterbricht und dem Mitteilungsfreudigen die Beachtung verweigert, rührt er an dessen seelischem Axiom: Ich bin unwichtig, man interessiert sich nicht für mich – nur wenn ich starke Mittel aufwende, werde ich beachtet! Und je mehr er nun «aufdreht» und die Aufmerksamkeit zu erzwingen sucht, umso gereizter wendet sich der andere ab (s. Abb. S.286).
Nicht, dass dieser Teufelskreis den erstgenannten «harmonischen» Kreislauf außer Kraft setzen und ablösen müsste! Dies kann im Extrem der Fall sein. Aber da ja der Wunsch des Partners nach «Verlebendigung von außen» erhalten bleibt, haben wir in der Regel damit zu rechnen, dass beide Kreisläufe gleichzeitig oder abwechselnd koexistieren und zu einem ambivalenten Gemisch verschmelzen. Die daraus für beide resultierende Verewigung des eigenen Musters gehört ebenso zu den Nachteilen dieser Beziehungsdynamik wie der langsam ansteigende Bodensatz von Kränkung auf beiden Seiten.
8.3
Richtungen der Persönlichkeitsentwicklung
Führen wir uns zunächst wieder vor Augen, welches Moment dieser Strömung den menschlichen Dialog fördert. Zweifellos ist es die Fähigkeit und Bereitschaft, sich einzubringen und damit jene «wortträge Dumpfheit» (Bollnow 1958) zu überwinden, die mancher gegenläufigen Strömung eigen sein kann. Damit verbunden ist oft das Talent, mit Charme und Witz zu amüsanter und spannender Unterhaltung beizutragen. Es sind diese bunten Vögel, die aufregend erzählen können und so das korrekt-monotone Einerlei des grauen Alltags kolorieren. In der Fähigkeit, persönlich zu sprechen, sind sie zudem all jenen überlegen, für die gefühlsmäßige Bekenntnisse ein solches Risiko darstellen, dass sie sich ins Objektive zu retten suchen und das «Ich» möglichst vermeiden. Zwar stellt sich ihre ins Auge springende «Offenheit» zum Teil als Ablenkungsmanöver heraus, so als ob sie mit betont einladender Geste ihren Vorgarten zur Besichtigung freigeben, damit nur keiner einen Blick ins Haus werfen möge (sie selbst eingeschlossen). Aber auch diese Art von ablenkender Selbstkundgabe gibt noch viel von ihnen preis.
Wird die Bereitschaft zur Selbstkundgabe und zur Mitteilungsfreudigkeit jedoch übertrieben, besteht die Gefahr selbstbezogener Geschwätzigkeit, die den Gesprächspartner zum austauschbaren Claqueur degradiert.
Welche Entwicklungsrichtungen ergeben sich daraus? Zum einen muss der Mitteilungsfreudig-Dramatisierende lernen, dass die Qualität des Kontaktes nicht mit der Flut des Geredeten steigt. Allein die Fähigkeit zur besinnlichen «Schweigseligkeit» mag diese eindämmen:
Ein erster Schritt in diese Richtung kann darin bestehen, Schweigepausen einmal bewusst auszuhalten – statt wie üblich mit irgendeiner belanglosen Bemerkung die Lücke sogleich zu füllen. Dies ist leichter gesagt als getan, denn der Mitteilungsfreudige erlebt solche Pausen als äußerst unangenehm und peinlich und kann, wie er dann sagt, «kaum an sich halten!»
Ein Abteilungsleiter, der in der Gruppe übermäßig häufig (und dann übermäßig lange) das Wort ergriff, erlebte bei der Aufforderung innezuhalten starke
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