Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Begeisterung vor: «Jetzt soll mal jeder sich selbst und alle anderen einschätzen, in jedem Stil auf einer Skala von eins bis zehn – und dann wollen wir mal sehen, was dabei herauskommt!» Ganze Zahlenkolonnen wurden sodann erhoben, ausgetauscht, aufaddiert, Mittelwerte berechnet, Differenzen festgestellt. – Die Gruppe kannte sich gut, es hat ihr nicht geschadet. Wenn Sie mich aber fragen, was man mit den Inhalten dieses Buches anfangen soll, so geht meine Antwort nicht in diese Richtung. Erst recht wäre ein testdiagnostischer Ansatz verfehlt, der Ergebnisse zutage fördern würde wie «Ich bin ein 2–3–7-Typ, und du bist ein 1–3–4–8-Typ!» Auf diese Weise würde etwas Prozesshaftes, Fließendes, sich ständig Entwickelndes gleichsam eingefroren und zur Einordnung in Schubladen missbraucht werden.
Ein Personalchef, der nach computergerechten Sortierhilfen sucht, um eine Vielzahl von Mitarbeitern entsprechend ihrem «Kontaktprofil» einstellen, verwenden und fördern zu können, mag vielleicht enttäuscht sein: Das Computergerechte wird hier dem Menschen nicht gerecht. Anstelle solcher Quantifizierungen kommen wir als Menschen weiter, wenn wir uns für qualitative Zusammenhänge interessieren, zum Beispiel: In welcher Weise verwirkliche ich welchen Stil in welchen Situationen, mit welcher Wirkung auf andere und welcher Rückwirkung auf mich selbst? Wie bin ich (teufelskreisartig?) mit anderen Menschen, namentlich in Konflikten oder schwierigen Beziehungen, verwickelt? Für welche «Köder» meines Gegenübers bin ich besonders anfällig, durch welche Arten von Ansprache lasse ich mich hypnotisieren und mundtot machen, was lässt mich «einschnappen» und aus dem Kontakt gehen, gar innerlich an die Decke springen? Welche Werte- und Entwicklungsquadrate sind für mich besonders treffend, welche Art von Förderung könnte mich weiterbringen? An welchen Werten orientiere ich mich selbst, oder möchte ich mich orientieren – und stoße dabei auf welche äußeren oder inneren Hindernisse? – Ich hoffe, Sie zu solchen Fragen inspiriert und für entsprechende Antworten vorbereitet zu haben.
So weit zu der Ebene, die den Einzelnen angeht. Aus der Vogelperspektive können wir darüber hinaus versuchen, die Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen auszumachen und besser zu verstehen. Immer wieder hatten wir Anlass, auf traditionelle Unterschiede zwischen Frauen und Männern einzugehen (vgl. S.72, 128f., 143f., 196f., 230f., 283f.).
Zusammenfassend lässt sich bei aller Abweichung im Einzelfall und ungeachtet aller Bewegung, die hier derzeit stattfindet, eine traditionelle Bevorzugung in folgender Art feststellen:
Bei Frauen die stärkeren Anteile am bedürftig-abhängigen, selbstlosen und mitteilungsfreudigen Stil; bei Männer am distanzierenden, aggressiv-entwertenden und sich beweisenden Stil. Die beiden anderen, der helfende und der bestimmend-kontrollierende Stil, dürften bei beiden Geschlechtern gleichanteilig vorhanden sein. Mit diesen unterschiedlichen Profilen sind jeweils bestimmte Chancen und Gefahren verbunden, sie sind zurzeit besonders für den beruflichen Bereich im Blickpunkt des Interesses (zum Beispiel Stechert, 1988). Mehr und mehr Frauen schicken sich an, auf Schlüsselpositionen des beruflichen und öffentlichen Lebens gleichrangig Anspruch zu erheben. Und obwohl sie mit ihrer Art des zwischenmenschlichen Umgangs durchaus etwas zu bieten haben, haben sie es oft nicht leicht (und wird es ihnen nicht leichtgemacht), in den höheren Etagen der von Männern dominierten Berufswelt «anzukommen» (im doppelten Sinne des Wortes). Es sei denn, sie passen sich an und werden die «besseren Männer» (wofür es Beispiele gibt). Die damit einhergehende Verhärtung und Entfremdung vom eigenen Wesen wäre aber weder für die Frau heilsam noch für die Berufswelt ein humaner Fortschritt. Wie kann es gehen? Das Problem hat ja beileibe nicht nur den kommunikativen Aspekt, den wir hier verfolgen. Ein viel grundlegenderes Hindernis besteht darin, dass viele Frauen wegen ihrer stärkeren Bindung an Familie und Kinder gar nicht in gleichem Maße «abkömmlich» sind. Und wenn sie es, durch bessere Einrichtungen für die Kinderbetreuung und verstärkte Hausarbeit des Mannes, eines Tages wären, dann möchte ich immer noch bezweifeln, ob sie überhaupt die heute geforderte Bereitschaft mitbringen, einen Großteil ihrer Lebensenergie an Ziele zu binden, deren Sinn undurchschaubar oder fragwürdig ist. Diese
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