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Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Titel: Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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zusammengehörigen Dialektik. Authentizität missrät, wenn sie nicht mit dem Bewusstsein der Wirkung gepaart ist, zur naiven Unverblümtheit , die entweder (durch «schonungslose» Offenheit) den Takt vermissen lässt und einen Scherbenhaufen zurücklassen kann, oder (durch unvorsichtige Selbstpreisgabe) zu wenig Sinn für taktische Notwendigkeiten verrät und sich unnötig verwundbar macht. «Ich bin viel zu offen und spontan, vieles rutscht mir einfach so heraus, und hinterher habe ich das häufig zu bereuen!» – sagen manche unserer Kursteilnehmer und deuten damit an, dass sie ihr Repertoire durch diplomatische Geschicklichkeit erweitern möchten. Auf der anderen Seite steht der «Volldiplomat», bei dem jedes Wort zum schmackhaften Köder gerät, welcher dem Fisch nun schmecken soll, und dessen berechnende Rhetorik ihm zur zweiten Natur geworden ist, das heißt, sein «wahrer Kern» bleibt nicht nur seinem Gegenüber, sondern auch ihm selbst verborgen.

    Die Kunst, diese dialektische Gegensätzlichkeit zu vereinen, ist uns zeitlebens aufgegeben. In manchen Momenten des Lebens ist die konflikthafte Spannung besonders spürbar – zum Beispiel wenn der Arzt vor der Frage steht, ob er einem Todkranken die Wahrheit mitteilen soll; oder wenn der unglücklich Liebende zweifelt, ob er sein Begehren und seine Anhänglichkeit zeigen soll (mit der Gefahr, dass der oder die Begehrte dann erst recht auf Distanz geht), oder ob er besser «taktisch» die kalte Schulter zeigt, um nun die andere/den anderen zu entzünden (vgl. S.245f.). – Viele Anliegen unserer Kursteilnehmer haben die formale Struktur

    «Wie kann ich …, ohne zu …?»,

    wobei im ersten Teil die wahrhaftige Botschaft, im zweiten Teil die befürchtete Wirkung zum Ausdruck kommt: «Wie kann ich ihm meine Gefühle sagen, ohne ihn zu kränken?» – «Wie kann ich meinem Chef die Meinung sagen, ohne ihn gegen mich aufzubringen?» – «Wie kann ich einen Mitarbeiter kritisieren, ohne ihn zu entmutigen?», usw.

    «Liebender Kampf»: Akzeptierung und Konfrontation. Auf ein zweites sehr grundlegendes Wertequadrat für die Kommunikation kommen wir, wenn wir uns an die Aussage von Karl Jaspers erinnern, dass die Suche nach Wahrheit nur im zwischenmenschlichen Dialog erfolgen könne und ein gelungener Dialog wesensmäßig ein liebender Kampf sei (1953, S.27). Verallgemeinern wir diese dialektische Formel auf den zwischenmenschlichen Umgang überhaupt, so gibt sie gleichfalls einen tauglichen Wegweiser ab. «Liebe» steht dann für all das, was Gegensätze überwindet und miteinander aussöhnt: Das Akzeptieren und Geltenlassen des Mitmenschen auch und gerade in seiner Andersartigkeit; das Bemühen, sich einfühlend in seine Welt zu versetzen; der Mut, sich zu öffnen und anzuvertrauen, mit dem Risiko, verletzt zu werden – alles sind Aspekte dieses Teils, in distanzierteren Beziehungen wohl auch jene Höflichkeit, die den anderen nicht abwertet, was auch immer man von ihm halten mag.
    Dieses auf Verständnis und Versöhnlichkeit gerichtete Prinzip macht aber nur die eine Hälfte einer vollwertigen Beziehung aus. Hinzukommen muss das kämpferische Element: Die Bereitschaft und die Fähigkeit, den Partner unter Umständen hart zu konfrontieren, Gegensätze und Konflikte mit ihm auszufechten, wenn nötig mit unerbittlicher Härte und fliegenden Fetzen. «Streiten verbindet» (Bach und Wyden, 1969), allerdings nur in liebendem Kampf. Andernfalls droht jene ungebremste Eskalation von Kränkungen, die in blanken Hass und gegenseitige Zerfleischung mündet. Während uns diese Gefahr aus den Ehen, der Nachbarschaft, den politischen Gruppierungen wohlvertraut ist, scheint die Gegengefahr weniger als solche bekannt: Zu viel Friedlichkeit und Höflichkeit ergibt Friedhöflichkeit – mit dieser Wortschöpfung möchte ich ausdrücken, dass diese Nur-Harmonie etwas Totes hat – dies gilt für Paare, aber auch für Gruppen, in denen alle außerordentlich «nett zueinander» sind, kein böses Wort die Eintracht zu gefährden scheint und jeder aufkommende Gegensatz sogleich mit sanften Beschwichtigungen im warmen Mulsch erstickt wird.

    Dieselbe Weisheit finden wir in der Faustregel für Psychotherapeuten wieder:
A + K = E
    das heißt: Entwicklung ( E ) wird möglich, wenn der Therapeut A kzeptierung und K onfrontation zu verbinden weiß.
    3.4
    Vom Werte- zum Entwicklungsquadrat
    In seiner Eigenschaft als Entwicklungsquadrat ermöglicht uns ein solches Wertequadrat nun, die

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