Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
unten rechts einen Namen geben, sagen wir: paranoides Misstrauen. Position (4) muss, wenn der Quadrant insgesamt richtig gebildet und stimmig sein soll, einen konträren Gegensatz zum Vertrauen (1) darstellen (was zweifellos zutrifft), und muss ferner in einem überkompensatorischen Verhältnis zu Position (3) stehen – was ebenfalls zutrifft. Hier das vollendete Quadrat:
Beim vorangegangenen Beispiel waren wir von einem positiven Wert (Vertrauen) ausgegangen, der uns als Startpunkt für die Erkenntnisreise diente. Da man es aber zuweilen auch mit «Charakterfehlern», «Untugenden» und menschlichen Entwicklungsrückständen zu tun hat, werden wir gelegentlich bei einer unteren Position zu beginnen haben. Nehmen wir an, ein Lehrer leidet unter einem «aufsässigen» Schüler. Wir tragen die «Aufsässigkeit» in die Position (3) ein und schreiten von hier gedanklich fort:
Vielleicht fällt es unserem imaginären Lehrer am leichtesten, sich das extreme, ebenso unerwünschte Gegenteil vor Augen zu halten (Position 4): Hat er doch auch sie in der Klasse, jene braven, überangepassten Musterschüler, die zu allem Ja und Amen sagen:
Nun kann man zu den positiven Werten aufsteigen, sei es diagonal oder senkrecht. «Aufsässigkeit» erscheint dann als «des Guten zu viel» von etwas, das gleichzeitig einen konträren Gegensatz zur musterschülerhaften Anpassung bildet: Offenbar ist hier ein positiver Eigensinn angesprochen, in welchem sich der Wille zur Selbständigkeit, Freiheit und eben: Zum Eigen-Sinn ausdrückt; dieser braucht als ausgleichende Ergänzung eine gewisse Einordnung , um nicht in sture Eigensinnigkeit oder in zwanghaften Oppositionsgeist zu verfallen:
So weit zur Konstruktion. Wenn Sie selbst derartige Wertequadrate bilden, werden Sie feststellen, dass es manchmal kein rechtes Wort gibt, um das prägnant zu bezeichnen, was Sie als Phänomen vor Augen haben. Anders als in Fausts zynischem Knittelvers «Denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein!», hat sich hier der Begriff vor dem geistigen Auge schon eingestellt, doch es fehlt das passende Wort. Scheuen Sie sich dann nicht, das Gemeinte zu umschreiben oder durch eine Wortneuschöpfung zu bezeichnen!
Am Ende des Kapitels finden Sie einige Übungen , an denen Sie sich auch schon jetzt versuchen können.
Was ist mit einem solchen Wertequadrat gewonnen? Zum einen schärft es den Blick dafür, dass sich in dem beklagten Fehler nicht etwas «Schlechtes» («Böses», «Krankhaftes») manifestieren muss, das es «auszumerzen» gelte. Vielmehr lässt sich darin immer ein positiver Kern entdecken, dessen Vorhandensein zu schätzen ist und allein dessen Überdosierung (des Guten zu viel) problematisch erscheint. Damit ist auch die Entwicklungsrichtung vorgezeichnet: nicht etwa von (3) nach (4), sondern von (3) nach (2) unter Beibehaltung von (1).
Zum anderen ist mit diesem Quadrat die Überzeugung verbunden, dass jeder Mensch mit einer bestimmten erkennbaren Eigenschaft immer auch über einen «schlummernden» Gegenpol verfügt, den er in sich wecken und zur Entwicklung bringen kann.
Wird mit dieser Sichtweise denn nicht, so mag ein Einwand lauten, der ausgewogenen Mittelmäßigkeit eines Idealcharakters das Wort geredet? Nein, das angepeilte Ideal ist keine statische, sondern eine dynamische Balance . Das heißt, je nach Situation und ihrer je einmaligen Sinngebung kann das Pendel extrem hin- und herschlagen (es gibt Augenblicke, in denen radikale Aufsässigkeit das Gebot der Stunde ist!) – entscheidend ist, dass als innere Möglichkeit beide Haltungen zur Verfügung stehen. Dies wäre ideal im Sinne menschlicher Freiheit und Bewusstheit, normal ist, dass man «von Haus aus» der einen Möglichkeit mehr zuneigt und sich mit der anderen schwertut.
3.3
Grundlegende Wertequadrate für die zwischenmenschliche Kommunikation
Versuchen wir jetzt, dieses Werkzeug für den Bereich der Kommunikation nutzbar zu machen. Dies soll später noch systematisch geschehen, wenn wir acht verschiedene Kommunikationsstile nach ihren Stärken und Schwächen untersuchen (Kap. III). Zwei für das zwischenmenschliche Miteinander sehr grundlegende Wertequadrate seien hier vorweggenommen.
Wahrhaftigkeit und Wirkungsbewusstsein. Auf dieses Wertequadrat sind wir durch die Erörterung der «zwei Lehrmeinungen zu Kommunikationstraining» (S.25ff.), gedanklich schon vorbereitet. Der Streit darum erweist sich nun als Polarisierung einer
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