Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Helfer genau die Stelle anweisen würde, an der er Unterstützung von ihm erwartet. Zum Beispiel: «Für mich steht fest, ich möchte hier wohnen bleiben und gegen die Kündigung ankämpfen. Weißt du oder hast du eine Idee, was hier ratsam ist zu tun?» Oder: «Ich bin mir darüber unschlüssig, ob ich kämpfen oder nachgeben will. Am liebsten würde ich dir einmal meine Gedanken und Gefühle dazu erzählen und von dir zum Schluss hören, was du davon hältst. Bist du dazu bereit?»
In beiden Fällen lässt sich der in Not Geratene zwar helfen, behält aber die Fäden ( = die Verantwortung) in der Hand. Zudem werden die Wünsche offen und deutlich formuliert – der andere kann darauf mit ja oder nein reagieren. – Übrigens kann der Partner dem Hilfesuchenden helfen, seine Autonomie nicht abzugeben, indem er ihn in die Rolle des aktiven Regisseurs zurückverweist. So kann er auf das seufzende «Was mach ich bloß?» reagieren, indem er sagt:
«Was hast du dir bis jetzt überlegt?», oder
«Was genau erwartest du jetzt von mir?»
Damit verschmäht er zwar den ausgeworfenen Köder, bleibt aber doch in einer Weise hilfsbereit, die die Selbsthilfekräfte des anderen nicht lahmlegt bzw. lahmliegen lässt. Möglicherweise hat der helfende Partner aber etwas in sich, das ihn lüstern nach dem Köder schnappen lässt? Mit dieser Frage ist das nächste Kapitel aufgeschlagen.
2.
Der helfende Stil
2.1
Erscheinungsbild, Grundbotschaft und seelischer Hintergrund
Der jetzt folgende Stil ist dem soeben beschriebenen komplementär, das heißt, er passt dazu wie ein Schlüssel zum Schloss. Menschen, die von der helfenden Strömung stark und dauerhaft erfasst sind, ziehen Bedürftig-Abhängige wie Magneten an. Als geduldige Zuhörer und Ratgeber sind sie allzeit bereit, sich für die Schwachen, Beladenen und Hilflosen einzusetzen, sich um sie zu kümmern und ihnen in der Not mit Rat und Tat beizustehen – nicht selten über die eigene Erschöpfungsgrenze hinaus. Sie strahlen eine souveräne Stärke aus, die zu sagen scheint: «Ich brauche niemanden» – und «Ich bin ganz für dich da!»
Abb. 12:
Grundpose des helfenden Stils
Von der helfenden Strömung können wir umso leichter erfasst werden, je mehr wir mit unseren eigenen schwachen und hilfsbedürftigen Anteilen auf dem Kriegsfuß stehen. Der entsprechende Kommunikationsstil ermöglicht die Abwendung davon und zugleich die Zuwendung zu solchen Anteilen beim Gegenüber:
a) durch die Selbstkundgabe von Stärke und Belastbarkeit
b) durch die Thematisierung der Sorgen und Probleme des Gegenübers, oft verbunden mit der Bereitschaft, geduldig zuzuhören
c) durch eine Beziehungsbotschaft, die die Hilfsbedürftigkeit des anderen unterstreicht
d) durch Appelle, die Empfehlungen für den anderen, aber keine eigenen Wünsche enthalten:
Abb. 13:
Grundbotschaft des helfenden Stils
Schmidbauers tiefenpsychologische Studie über die «hilflosen Helfer» (1977) hat unter dem Schlagwort «Helfersyndrom» besonders unter Angehörigen der sozialen Berufe betroffene Beachtung gefunden. Denn wir Psychologen und Sozialarbeiter, Ärzte, Psychotherapeuten, Krankenschwestern und Pädagogen haben uns beruflich eine zwischenmenschliche Grundsituation gewählt, in der die Weichen für den Kontakt zu unseren Gunsten gestellt sind. – Wieso zu unseren «Gunsten»? Müssen wir uns nicht ziemlich abrackern, oft bis in die Nachtstunden hinein, um die Ratlosen, Kranken und Bedürftigen zu stützen, etwas von ihrem Elend mitzutragen? Ganz gewiss – und doch liegt nach Schmidbauer der innerseelische «Vorteil» des souveränen und altruistischen Verhaltens darin, dass der Helfer sich auf diese Weise etwas vom Halse halten kann, wovor er große Angst hat: sein eigenes Anlehnungsbedürfnis, seine schwachen Anteile. Das seelische Axiom scheint bei diesem Stil zu lauten:
Für mich ist es eine Katastrophe,
schwach (ratlos, traurig, verzweifelt)
und bedürftig zu sein!
Nach Schmidbauer trägt der helfende Mensch «ein verwahrlostes, hungriges Baby» in sich. Es verkörpert jenes Preisgegebensein und jene Ohnmacht, die er als kleines Kind erlebt hat. Wenn dieses sich in Momenten intensiver Bedürftigkeit nach Schutz und liebevoller Zuwendung, nach Versorgtwerden und menschlicher Nähe alleingelassen oder abgelehnt fühlte, hatte es einen gewaltigen Urschmerz zu erfahren und zu verkraften. Die Art der Bewältigung kann nun in dem Versuch bestehen, jene mit katastrophalem Schmerz (und
Weitere Kostenlose Bücher