Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Ausbildungsknappheit sehr schnell eine Stelle in einem Hamburger Krankenhaus. Hier konnte ich meine Helfer-Symptomatik zum Gedeihen und Blühen bringen. Ich wollte keine gute, ich wollte eine sehr gute Schwester sein. Von Anfang an gestaltete ich meine Freizeit nach den Ansprüchen, die der Dienstplan an mich stellte. Hatte ich Frühdienst (Beginn 6.00 Uhr), so mußte ich spätestens um 21.00 Uhr im Bett sein, weil ‹die Patienten ein Recht auf eine ausgeschlafene Schwester haben›. Auch wenn ich mich noch so schlecht fühlte, ging ich zur Arbeit, zwang mich zu einem Lächeln und zur guten Laune. Gab es einen personellen Engpaß, arbeitete ich auch schon mal 15 Tage ohne einen freien Tag, denn ich wollte ja stark und belastbar erscheinen. Dem hohen Anspruch an mich selbst konnte ich aber nur in den ersten fünf Monaten meiner Ausbildung gerecht werden. In dieser Zeit machten mich Sätze wie: ‹Schwester, wenn Sie zur Tür hereinkommen, geht die Sonne auf›, oder: ‹Wenn Sie immer da wären, würde ich viel schneller wieder gesund›, wirklich glücklich. Ich kam damals oft mit dem Gefühl vom Dienst, nun endlich meinen Traumberuf gefunden zu haben.
Aber schon bald erfüllte ich die Voraussetzungen dieses Ideals innerlich nicht mehr. Immer häufiger kam es vor, daß ich nach den Diensten total ausgebrannt zu Hause saß und Löcher in die Luft starrte. Ich war unzufrieden, daß mich mein Beruf so auffraß, daß ich (entsprechend meiner damaligen Einstellung) keinen privaten Freiraum hatte. Auch in meinen Partnerschaften fühlte ich mich nie wohl, auch hier sah ich mich stets schnell ‹vereinnahmt›. Heute weiß ich, daß ich mir Männer mit Problemen als Partner wählte, daß ich auch in diese Beziehungen mit den Gedanken ‹Ich bin stark, wenn ich dir helfe, kommst du da schon heraus› hineingegangen bin. Wenn sich die Männer dann nicht so behandeln lassen wollten, brach ich die Beziehung ab und wendete mich mit neuem Elan meinem Beruf zu (die Patienten waren ja wenigstens dankbar).
Schon sehr bald aber reichte mir die Bestätigung von Patienten und Kollegen nicht mehr aus. Ich schraubte meine Normen immer höher und war ständig unzufrieden mit meinen Leistungen. Ich bestand mein Examen mit «Sehr gut» und empfand mich als totale Niete in der praktischen Arbeit. Das hungrige, verwahrloste Baby in mir schrie sich heiser, die Anerkennung, die ich ja durchaus bekam, machten es niemals auch nur noch annähernd satt. Mein Körper reagierte natürlich auch auf diesen Mißstand. Ich litt unter Schlafstörungen und zusätzlich unter Magen- und Darmbeschwerden. Dadurch, daß ich mich morgens stets zerschlagen fühlte, mußte ich noch mehr Kraft für die Aufrechterhaltung meiner Fassade investieren. Die Magen- und Darmbeschwerden wurden mit den entsprechenden Pillen und Säften in erträgliche Maße gebracht.
Mit der Absicht, Gesprächstherapie zu lernen, um so sterbenden Menschen besser beistehen zu können, begann ich nach fünf Jahren Berufstätigkeit mein Psychologiestudium – sozusagen, um mein Helfersyndrom auf akademischer Grundlage weiter zu perfektionieren. Durch Gespräche mit einer therapieerfahrenen Krankenschwester während einer Aushilfstätigkeit in einem Krankenhaus, durch die nach dem Vordiplom angebotenen Studieninhalte im Fach Psychologie und durch die Teilnahme an Mitarbeiterbesprechungen in der Sozialstation, bei der ich im Moment vorwiegend in der Altenpflege arbeite, bin ich langsam darauf gekommen, was eigentlich mit mir los ist.»
Der folgende zweite Bericht ist ebenfalls von einer Frau; daraus ist aber nicht zu schließen, dass der helfende Stil ein typisch weibliches Kontaktmuster darstelle. Nach meinen Erfahrungen sind Frauen und Männer hier gleichermaßen vertreten. Jedoch tun sich Frauen häufig leichter damit, ihrer seelischen Vorgänge gewahr zu werden und darüber zu sprechen. –
Im Folgenden wird sehr plastisch, wie der helfende Mensch mit eigenen Bedürfnissen umgeht:
«Ich strahlte nach außen Stärke, Sicherheit und Ruhe aus und habe deshalb in Beziehungen meist die Oberhand. Das ist für mich gut und wohltuend, weil ich durch die Rolle der ‹starken, klugen, geduldigen Ratgeberin› Anerkennung (für meinen Kopf) bekomme und außerdem das Gefühl, gebraucht und gemocht zu werden (für den Bauch) … Soweit, so gut – oder besser – nicht gut! … Ich habe von mir nicht nur das Bild ‹der Starken›, sondern das Bild ‹der immer Starken›. Ich gestehe mir keine
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