Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Verhaltensebene) vor dem ersten (Selbstwahrnehmung bedürftiger Anteile) zu tun. Auch dies ist möglich. Nehmen Sie sich vor, wo es irgend passend scheint, einen Kontakt einmal mit den Worten einzuleiten
«Ich brauche einmal deine/Ihre Hilfe!» – oder:
«Hast du/Haben Sie einen Moment Zeit?
Ich muss mal etwas loswerden!»
und stehen Sie die Situation, die dann entsteht, einschließlich aller Gefühle, die in Ihnen aufkommen, bewusst durch. Es liegt im Wesen der «Pferdekur», dass am Anfang nicht nur schöne, sondern auch sehr unangenehme Gefühle und Körperempfindungen (Herzklopfen, Verspannungen etc.) spürbar werden. «Wo die Angst sitzt, da geht’s lang!», lautet eine Faustregel der Psycho-Szene. Persönlichkeitsentwicklung heißt: Vermiedenes Neuland betreten und an seinem Torwächter, der Angst, vorbeikommen. Das hier einzugehende Risiko sollte aber ausbalanciert sein durch ein hinreichendes Maß an Sicherheit , das die Situation oder die Beziehung bietet, sonst besteht die Gefahr einer neuen Verletzung und eines Rückschlages.
Behütung und Herausforderung. Nun zum Umgang mit den Partnern und Schutzbefohlenen, Menschen also, die dem Helfer aufgrund eines besonderen Rollenverhältnisses anvertraut sind: die Kinder den Eltern, die Jugendlichen den Lehrern und Jugendleitern, die Mitarbeiter den Vorgesetzten, die Klienten und Patienten den Angehörigen helfender Berufe.
Was kommt zu kurz, wenn der Helfer dazu neigt, das Element von Schutz, Fürsorge und Behütung zu übertreiben? Alfred Adler hat den «verzärtelnden» Erziehungsstil für besonders verhängnisvoll gehalten, da er den Zögling darin behindert, seine eigene Kraft zu entfalten, sich auch einmal «durchzubeißen» und auf der Grundlage eigenständiger Bewältigungen ein stabiles Selbstwertgefühl zu entwickeln. Der überbehütende Erzieher (Vorgesetzte, Jugendleiter, Trainer …) muss lernen, seinem Zögling etwas zuzumuten und ihn herauszufordern, ohne gleich vom Gefühl überwältigt zu werden «Ich kann es einfach nicht mit ansehen, wie er/sie sich abquält!» – Mit dem nachfolgenden Wertequadrat wird dem Pädagogen ein schwieriges Kunststück abverlangt, denn was noch gestern dringend benötigter Schutz war, kann schon morgen zur «Überbehütung» werden:
Anteilnahme und Abgrenzung. Was kann der Helfer tun, wenn er es mit «starken Schwachen» zu tun hat, die ihm auf den Leib rücken (und sich von ihm angezogen fühlen)? Leicht gesagt: Er müsste lernen, sich auch einmal zu verweigern. Ich bin in unseren Trainingskursen immer wieder erstaunt, wie viele Teilnehmer es sich selbst zum Ziel setzen, Nein sagen zu lernen (s. auch S.128f.). Wenn der andere sein ganzes Elend in die Waagschale wirft, und sei es auch nur in Andeutungen, kommen sie sich brutal und herzlos vor. Wiederum ist zu betonen, dass Mitleid und Hilfsbereitschaft ja nicht abgeschafft werden sollen; wenn aber der Helfer sich so stark in Mitleidenschaft gezogen sieht, dass ihm das Elend des anderen selbst unter die Haut kriecht und er es nicht mehr loswerden kann; wenn er sich plötzlich für die Abhilfe oder Linderung allein zuständig und verantwortlich fühlt: dann hat er es an der nötigen Abgrenzung fehlen lassen, ist in einen emotionalen Sog geraten, der die Grenze zwischen Ich und Du zum Verschwimmen bringt («Konfluenz») . Offenbar gedeiht eine gesunde Hilfe nur in der Balance von Anteilnahme und Abgrenzung:
Dieselbe Balance ist gemeint, wenn in der Literatur zum Burnout-Syndrom (berufliches Ausbrennen) von distanziertem Engagement (s. Burisch, 1988, S.36) die Rede ist. Burisch spricht von einer «verstellbar dicken Haut»: dünn genug, um für die Not des anderen durchlässig zu sein, dick genug, um nicht selbst davon erfasst zu werden. Besonders für professionelle Helfer stehen und fallen berufliche Effektivität und seelische Gesundheit mit der Lösung dieser Abgrenzungsproblematik.
Bei der Abgrenzung ist wichtig, zwischen äußerem Verhalten und innerer Dynamik zu unterscheiden. Einer überbetonten äußeren Abgrenzung («Da musst du selber sehen, wie du damit fertig wirst! Absolut dein Problem! Du brauchst gar nicht auf die Tränendrüse zu drücken – damit erreichst du bei mir gar nichts, höchstens das Gegenteil!») liegt in der Regel eine innere Anfälligkeit zugrunde, sich hineinziehen zu lassen. In dem Bild von eben ausgedrückt: Wegen allzu «dünner Haut» wird ein stacheliger Hornpanzer angelegt: Je weniger der Helfer es aushalten kann, wenn es
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