Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Menschen, soweit sich ihre Strömungen in eine bedürftig-abhängige und eine helfende polarisiert haben. Dazu ist der bereits beschriebene Kreislauf von S.78ff. wieder aufzunehmen und zu erweitern. In ihm steckt der Teufel: Neben dem «offiziellen» Außenkreis von Fürsorge und Dankbarkeit entsteht nämlich noch ein viel weniger bewusster Innenkreis von Enttäuschung und Kränkung, von Aggression und Sabotage. Der Schützling fühlt neben der Erleichterung, die ihm der Helfer verschafft, immer auch eine Kränkung über seine eigene Bedürftigkeit – und dass der Helfer diese «auskostet» und sein eigenes Selbstgefühl darauf aufbaut, macht ihn höchst ambivalent: «Du sollst nicht glauben, du könntest alles besser und wärest so großartig!», meldet sich eine leise Stimme in ihm – und dieser Stimme folgend, gönnt er dem Helfer die Erfolge nicht und beginnt, sie ihm vorzuenthalten. Plötzlich sind alle Ratschläge untauglich («Ja, aber …»), sind alle Hilfsmaßnahmen noch nicht ausreichend gewesen, ja vielleicht sogar fehlgeschlagen, wofür er den Helfer nun verantwortlich macht: «Nun haben wir den Salat – sieh bloß, was du angerichtet hast!» – s. Abb. 15 auf der nächsten Seite.
Abb. 15:
Reaktion des Hilfsbedürftigen im Teufelskreis mit dem Helfer
Indem der Hilflose dem Helfer nachweist, wie unzureichend seine Bemühungen waren, erreicht er zweierlei: Zum einen entschädigt er sich mit diesem kleinen Racheakt für den Demütigungs-Anteil, den die helfende Wohltat im Begleitgepäck hatte, zum anderen spornt er den Helfer an, in seinen Anstrengungen nicht nachzulassen – ja, diese noch zu verstärken, um die erlittene Schlappe auszugleichen.
Der Helfer («Ich habe ja nur versucht, dir zu helfen!», s. E. Berne, 1967, S.196ff.) ist frustriert und verärgert über den so wenig fruchtbaren Boden, auf den seine Saat gefallen ist. Aber er sieht ein, dass er mit seinen helfenden Eingriffen auch Verantwortung übernommen hat und den anderen nicht gerade jetzt, wo alles noch schwieriger geworden ist, im Stich lassen kann! So nimmt er die Herausforderung an und verdoppelt seine Anstrengungen, wobei er freilich seinen Ärger nicht ganz verhehlen kann und seine Ratschläge durch aggressive Gefühlsbeimischung zu Rat-«Schlägen» werden lässt, die dem anderen das Gefühl geben, das zu sein, was er ohnehin zu sein fürchtet: ein Versager, der nicht einmal bei kompetenter Unterstützung zurechtkommt. Diese nun schon fast offene Demütigung vertreibt erst recht das Gefühl von Dankbarkeit und weckt stattdessen den Wunsch, dem anderen ebenfalls eine Niederlage zuzufügen usw.
Dies alles spielt sich mehr oder minder unterschwellig ab – überschwellig bleibt der Helfer, getreu seinem edlen Ich-Ideal, begütigend, tröstend und ermutigend, der Schützling betont seine Angewiesenheit und Dankbarkeit. Allmählich entsteht auf beiden Seiten ein eigenartiges Gefühlsgemisch aus Mitleid und Zorn, Dankbarkeit und Rache, dessen Dynamik wir uns in Form eines halbverdeckten Doppelkreislaufes vor Augen führen können:
Dieser Doppelkreislauf kann in einer Trainings- oder Supervisionsgruppe innerhalb weniger Minuten entstehen und die ganze Atmosphäre heillos verderben: Ein Teilnehmer bringt ein Problem ein, signalisiert damit eine gewisse Hilfsbedürftigkeit und löst bei den anderen die helfende Strömung aus (oft noch vermischt mit der sich beweisenden und der kontrollierend-bestimmenden). Sie reagieren mit gescheiten Analysen, detektivisch geschulten Nachfragen und vielen Ratschlägen. Der Problemträger bekommt das Gefühl, von «himmlischen Heerscharen», die alles besser wissen, überwältigt zu werden. Um nicht als der einzig Dumme dazustehen, beginnt er eine (verdeckte) Abwehrschlacht gegen die «Klugscheißer»: Dies habe er selbst schon erfolglos versucht, jenes sei völlig praxisfern. Die Helfer werden ungeduldig, verdrossen über die Nutzlosigkeit ihrer Bemühungen und enttäuscht von der Undankbarkeit ihres Schützlings, und versuchen nun verstärkt, ihn «zur Vernunft» zu bringen. – Die Stimmung ist auf beiden Seiten gereizt, das Problem zwischen «Ratsuchendem» (der im Grunde gar nicht «Rat» sucht, sondern Verständnis und Ermutigung) und seinen Helfern ist längst größer geworden als das Ausgangsproblem. – Solche Erfahrungen haben dazu beigetragen, dass professionelle Hilfe heute ein anderes Gesicht hat.
2.3
Richtungen der Persönlichkeitsentwicklung
Wenn wir bis jetzt die Gefahren des
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