Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
dem anderen schlecht geht, umso schroffer, abweisender, aggressiver muss er seine Verweigerung vortragen – die innere Konfluenz muss mit äußeren Abwehrbastionen ausgeglichen werden. Umgekehrt kann der innerlich Abgegrenzte den Notleidenden viel näher an sich heranlassen, muss zum Beispiel im Umgang mit unheilbar Kranken und Sterbenden viel weniger auf Abwehr schalten, kann somit Kontakt entstehen lassen und dadurch (und nur dadurch) wirklich helfen.
Der gegenläufige Zusammenhang von innerer und äußerer Abgrenzung sei noch einmal an folgender Abbildung veranschaulicht:
Abb. 16:
Konfluenz und Abgrenzung aufseiten des Helfers
Dies vor Augen, wird es plötzlich verständlich, wenn viele professionelle Helfer nach einiger Zeit so «herzlos» und zum Teil zynisch mit ihrer Klientel umgehen und den Menschen zum «Fall» degradieren («Machen Sie doch mal bei der Niere auf Nummer 18 das EKG – aber Vorsicht! Schwerer Fall von paranoider Querulanz!»). Was so inhuman aussieht (und ist), erweist sich als innere Not-Wehr gegen all das Elend, das man an sich heranlassen müsste, würde man dem Menschen ins Auge sehen und sich von ihm betreffen lassen. Wo seelische Kraft zur inneren Abgrenzung fehlt bzw. keine kraftspendende Institution geschaffen ist, wo der Helfer (zum Beispiel der Arzt) seine innere Situation regelmäßig bearbeiten kann (salopp gesprochen: Wo er mal «etwas los wird») – dort muss eben die fehlende innere Abgrenzung durch äußere Abwehr ersetzt werden – eine verbreitete Notlösung, verbunden mit innerer Abstumpfung und Aggressionen gegen die Klientel. Ein Sozialpädagoge formulierte seine Stimmung in dem Satz «Kaputte aller Länder vereinigt euch, aber lasst mich in Ruhe!» Typischerweise passiert das auch und gerade denjenigen, die sich voller Engagement und Mitgefühl den Notleidenden hatten widmen wollen. Dieses «Umkippen» ins gegenteilige Extrem ist eine durchaus charakteristische Bewegung im Entwicklungsquadrat, auf die schon Helwig (1967) aufmerksam machte, indem er davon sprach, dass wir dazu neigen, überkompensatorisch von dem einen Unwert in den entgegengesetzten anderen zu entfliehen, wenn wir «nicht die Kraft haben, uns in die geforderte Spannung der oberen Plus-Werte hinaufzuarbeiten» (vgl. S.44). – Im vorliegenden Fall also:
Freilich ist auch noch ein dritter Fall möglich und empirisch beobachtbar, nämlich ein Mangel an innerer und äußerer Abgrenzung zugleich. Diese Menschen «kümmern sich» (im doppelten Wortsinne) so sehr um ihre Mitmenschen, dass ihr eigener Mitleids-Kummer die Sorgen und Nöte der eigentlich Betroffenen bald übersteigt. Dann tritt nicht selten der paradoxe Effekt ein, dass der Bekümmerte den «Helfer» wieder aufrichten muss – meist verbunden mit dem Vorsatz, ihn beim nächsten Mal mit eigenen Sorgen nicht zu belasten.
Was kann der Helfer tun, um seine innere Abgrenzung zu verbessern? Zunächst ist wichtig zu wissen, dass im Umgang mit schwerem Elend (schweren Krankheiten, Schmerzen, Sterben, Verzweiflung) das Aushaltenkönnen, ohne einzugreifen in der Regel eine große Hilfe darstellt (zum therapeutischen Umgang mit Krisen siehe ausführlich Kast, 1987). Viele Menschen meinen, dass die eigene Hilf- und Lösungslosigkeit eine Art zusätzliches Gift darstellt, vor dem man den Notleidenden (und sich selbst!) dringend bewahren muss. Oft ist das Gegenteil der Fall: Begegnet der Notleidende einer Mentalität von «Das-müssen-wir-jetzt-in-den-Griff-kriegen», von der er sich nicht wirklich etwas verspricht, dann fühlt er sich um den Beistand betrogen, der durch eine nicht-ändern-wollende menschliche Anteilnahme möglich gewesen wäre. – Es geht also um das Aushalten. Aushalten kann man aber eher, was einem nicht völlig fremd ist. Je mehr der Helfer sich auseinandergesetzt hat mit den Themen, denen er begegnet (Depression, Verlassenheit, Unheilbarkeit, Tod und Sterben …), umso weniger wird er kopfscheu werden müssen, umso weniger sich anstecken lassen von der Verzweiflung und umso eher zum Felsen werden, der die Brandung an sich heranlässt, ohne von ihr ver-rückt zu werden. Aus diesem Grunde ist es so wichtig, dass die Angehörigen von Berufen, deren Wirkung unauflöslich mit dem Eingehen einer zwischenmenschlichen Beziehung verbunden ist, eine regelmäßige berufsbegleitende therapeutische Supervision erhalten.
3.
Der selbst-lose Stil
3.1
Erscheinungsbild, Grundbotschaft und seelischer Hintergrund
Der selbst-lose Stil ist dem
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