Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Innenwelt, die den Partner enttäuschen, verletzen, wütend machen könnten (vgl. Seyferth und Falt, 1984, S.155ff.).
Aus dem Wunsch heraus, es dem anderen recht zu machen, lautet denn auch der Grundappell : «Sag, wie du mich haben willst!»
Abb. 19:
Grundbotschaft des selbst-losen Stils
Die Hörgewohnheiten sind durch ein großes Appell- und ein negativ umdeutendes Beziehungs-Ohr gekennzeichnet. Mit dem Appell-Ohr liegt der Selbst-lose ständig auf der Lauer, um seine Reaktionen erwartungsgerecht ausfallen zu lassen: Wenn er spürt, eine Bemerkung ist witzig gemeint, dann lacht er automatisch – ohne dass eine Zwischeninstanz eingeschaltet wäre, in der entschieden würde, ob er die Bemerkung überhaupt witzig findet. Man kann es auch so ausdrücken: Er übergeht sich selbst , reagiert nur auf den anderen und macht sich dadurch zum Automaten.
Das Beziehungs-Ohr ist darauf spezialisiert, die eigene Selbstentwertung zusätzlich mit Nahrung von außen zu versorgen. Äußerungen der Gesprächspartner werden so (um-)gedeutet, dass sie im Zweifel immer die eigene Wertlosigkeit antönen. «Du verstehst alles nur verkehrt und kriegst das in den falschen Hals – und zwar in deinen negativen Hals!», warf ein Ehemann seiner Frau vor (Thomann und Schulz von Thun, 1988, S.240) – und versorgte sie damit mit einem neuerlichen Beweis ihrer Fehlerhaftigkeit.
Der negative Umdeutungsmechanismus sei in folgendem Bild illustriert:
Abb. 20:
Negatives Beziehungs-Ohr der selbst-losen Strömung
Tragen wir noch einige weitere Elemente dieses Stiles zusammen. Wer von der selbst-losen Strömung erfasst ist, hält sich in Gruppen mit eigenen Meinungen sehr zurück und spezialisiert sich vorzugsweise auf bestätigende «Begleitmusik», mehr «einwerfend» als für sich selbst das Wort beanspruchend:
«Ja, das find ich auch!»
«Oh, das wäre ja furchtbar!»
«Ja, eben!»
«Aber wirklich!»
Lachende und bedauernde Laute (je nach Intention des Sprechenden).
Leute, die selbst gern das Wort führen, fühlen sich durch diese affirmative Begleitmusik mehr und mehr in ihrem Element. Um nicht mit einer eigenen Meinung aufzufallen, erspürt der Selbst-lose mit feiner Antenne auch noch den normativen «Wind», der in einer Gruppe weht:
«Ich fühle mich schon ein gutes Stück appell-unabhängiger geworden, aber die Erinnerung an mein Bemühen, es allen recht zu machen, nicht unangenehm aufzufallen und auf der richtigen ‹Meinungs-Woge› zu schwimmen, ist mir jetzt noch peinlich. Ich entsinne mich, dass ich meine Meinung nur zu äußern wagte, wenn schon jemand anderes die gleiche Richtung angegeben hatte, und wie schlimm, wenn ich mal zuerst gefragt wurde! Mein ängstliches Lavieren fiel dann auf und wurde mir auch vorgehalten.» (Soziologiestudent)
Und wenn wir es, von der selbst-losen Strömung erfasst, doch einmal wagen, eine eigene Meinung zu sagen, dann niemals klipp und klar, zum Beispiel
– «Das finde ich falsch» (Punkt!),
sondern abschwächend und spurenverwischend:
– «Irgendwie finde ich das manchmal so ’n bisschen auch übertrieben, so etwas – ich mein, nicht dass ich direkt etwas dagegen hätte, nicht?», um so die Disharmonie abzuschwächen, die wir beim Aufkommen von Unterschiedlichkeit angstvoll empfinden. Das innere Motto des Selbst-losen lautet «Harmonie um jeden Preis!» – daher seine Konfliktscheu und Aggressionshemmung :
Abb. 21:
Konfliktscheu und Aggressionshemmung
Schon das selbstentwertende Verhalten hat die heimliche Wirkungsabsicht, sich selbst als möglichen Stein des Anstoßes vorsorglich aus dem Wege zu räumen und dadurch das Gegenüber zu beschwichtigen. Streit und Auseinandersetzung sind für den Selbst-losen deswegen eine so große Bedrohung, da jedes heftige Wort, sogar schon kleine Meinungsverschiedenheiten kleine Funken jener Trennungsangst in ihm aufsprühen lassen, die in seinem Seelenleben eine so große Rolle spielt.
Um Streit zu vermeiden und den anderen zu beschwichtigen, gibt er gern nach und nimmt viel Lästiges und Belastendes auf sich: Sein Buckel ist breit genug, um die Mitmenschen zu entlasten. Die Hartnäckigkeit, mit der er an diesen Lasten festhält und sie sich nicht nehmen lässt, stattdessen immer noch mehr auflädt – dieses Festhalten weist darauf hin, dass die Lasten untrennbarer Teil seiner Identität geworden sind. Was bliebe von ihm übrig, wenn man sie ihm nehmen würde? «Erst durch die Bürde ein Minimum an Würde!»
Abb. 22:
Grundpose des
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