Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
helfenden verwandt. Auch hier besteht das Grundmuster darin, für andere da zu sein, ihre Wünsche und Nöte zu erspüren und sich in ihren Dienst zu stellen. Doch während der Helfer eine souveräne Pose anstrebt, sozusagen «von oben» kommt, hat die aufopfernde Tendenz des Selbst-losen etwas Unterwürfiges – sie kommt «von unten»:
Abb. 17:
Grundpose des selbst-losen Stils
Auch die zugrunde liegende seelische Dynamik ist anders als bei der helfenden Tendenz. Kam es bei dieser darauf an, sich Gefühle eigener Schwäche, Hilf- und Ratlosigkeit vom Leibe zu halten und durch die souverän-überlegene Pose gegenüber Hilfsbedürftigen (oder solchen, die dazu gemacht werden) sich der eigenen Stärke und Problemlosigkeit zu vergewissern, so ist demgegenüber das Gefühl von Schwäche in der selbst-losen Strömung durchaus mitenthalten. Charakteristisch ist hier eine tiefe Überzeugung von eigener Bedeutungs- und Wertlosigkeit, die nur durch den Einsatz für andere leidlich kompensiert werden kann. Das seelische Axiom lautet:
«Ich selbst bin unwichtig – nur im Einsatz für dich und für andere kann ich zu etwas nütze sein!»
Dieses Sich-durch-den-anderen-Definieren ist Ausdruck des fehlenden Selbstgefühles und zugleich ein Mittel, die Angst vor Selbstwerdung , also davor, ein eigenständiges und abgegrenztes Individuum zu werden, einzudämmen. Offenbar hat es in der frühkindlichen Entwicklung eine Zeit gegeben, in der jeder Ansatz von Eigen-Sinn massiv unterdrückt wurde – ja mehr noch: In der alle Hinweise darauf gefehlt haben, dass das Kind einen eigenen Wert und eine eigene Bedeutung hat, und jede Bestätigung dafür ausblieb, dass es überhaupt eigene Wünsche haben kann. «Um dich geht es hier nicht!», war die Botschaft, und um nicht aus der Gemeinschaft ausgestoßen zu werden, hat das Kind sich angepasst und eingefügt, hat sich für die Zwecke anderer instrumentalisieren lassen und sich schließlich in seinem Lebensgefühl selbst als Werkzeug für andere definiert – mit dem Vorteil, dass die gewaltige Angst vor Ausgrenzung, die als Basso continuo das Seelenleben begleitet und als Trennungsangst in der Hauptbeziehung fortlebt, leise bleibt. Der dienstbare Einsatz für die anderen wird zur einzigen Quelle (sparsamer) Anerkennung, bewirkt zumindest ein Wahrgenommen-Werden.
Vor diesem Hintergrund, dem Frauen namentlich früherer Generationen zweifellos häufiger als Männer ausgesetzt waren, Angehörige der Unterschicht sicherlich auch stärker als Mittelschichtkinder – vor diesem Hintergrund können wir den selbst-losen Kommunikationsstil verstehen:
Charakteristisch ist die Aufwertung des anderen und die Abwertung des Selbst. «Maßgeblich bist DU!», lautet die Beziehungsbotschaft , verbunden mit der Bereitschaft, die starken und guten Seiten des anderen zu würdigen, hingegen seine schwachen und fehlerhaften Seiten zu übersehen, zu bagatellisieren und zu entschuldigen.
Die Selbstkundgabe dagegen lautet «Ich bin unwichtig!», im Extrem sogar «Ich bin nichts!», wodurch er sich ständig klein macht und entwertet. Dies kann durchaus wortwörtlich geschehen, etwa durch selbstabwertende Präambeln wie
«Ich weiß, das ist eine dumme Frage, aber ich wollte mich nur mal erkundigen …»
«Leider bin ich schrecklich ungebildet …»
«Bestimmt bin ich Ihnen schon die ganze Zeit lästig – es tut mir leid, dass ich Ihre kostbare Zeit mit diesen unwichtigen Dingen stehle …»
und wenn der andere widerspricht, dann ist dies selbstverständlich nur ein Ausdruck seiner bewundernswerten Höflichkeit … Thomann (1985) hat diese Tendenz zur Selbstentwertung durch das folgende Bild sinnfällig gemacht:
Abb. 18:
Selbstentwertung (Zeichnung von Saul Steinberg)
Ebenso wie der Helfende vermeidet es auch der Selbst-lose, sich mit seinen Problemen und Sorgen zu offenbaren, allerdings aus einem anderen Grund. Mochte jener nicht als schwach und bedürftig dastehen, so ist es diesem undenkbar, derart in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu geraten und seinen Partner damit zu belasten und zu belästigen. «Ich kann mich dir nicht zumuten!», lautet die innere Überzeugung. Und wenn doch einmal, dann nur kurz angedeutet und, bevor noch der andere wirklich darauf eingehen kann, mit schnellen, abwiegelnden Rückziehern wieder zunichte gemacht: So schlimm sei es wirklich nicht – und im Grunde auch völlig unwichtig!
Aus der Selbstoffenbarung ausgespart werden ferner alle «unbequemen» Anteile der eigenen
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