Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
selbst-losen Stils, mit «Ergänzungen»
Vergessen wir nicht, dass jeder Kommunikationsstil nicht nur Ausdruck von etwas ist, sondern immer zugleich auch einen mehr oder minder heimlichen Wirkungsaspekt hat! Wer wird sich einem so lieben, altruistischen, bescheidenen Menschen, der nie böse wird und einem alles recht machen will, wer wird sich einem solchen Menschen nicht verpflichtet fühlen ? So passiert es leicht, dass der Selbst-lose durch seine ganze Art ein zartes Netz webt, in dem sich die Mitmenschen gefühlsmäßig gefangen fühlen und sich nicht leicht freimachen können. Eine Studentin schreibt:
«Irgendwann einmal ist mir aufgefallen, dass meine Mutter, die sich selber immer als vollkommen ‹selbstlose-märtyrerhafte› Mutter darstellt, ihren Egoismus/Willen mit ganz subtilen Mitteln fast immer durchsetzt. Sie ist immer lieb/geduldig etc. und bietet so kaum Angriffsfläche zum Streiten. Wenn sie nun etwas von uns will, so fordert sie dieses nicht, sondern bittet und reagiert mit tiefer Trauer bei einer Absage. Wir Kinder bekommen dann Schuldgefühle und versuchen nun, besonders lieb zu sein und den Wunsch doch irgendwie zu erfüllen.
Ich habe diese Waffe meiner Mutter erst vor kurzem durchschaut und dabei ist mir aufgefallen, dass ich sie selber bei meinem Freund auch einsetze. Jetzt, wo mir dies bewusst ist und ich auch mit ihm darüber geredet habe, kann ich besser dagegen angehen, und sollte ich nochmal in das Verhaltensmuster zurückfallen, so wird mich mein Freund darauf hinweisen können.»
3.2
Der systemische Blickwinkel
Im Blickwinkel einer sich gegenseitig bedingenden Beziehungsdynamik ist die selbst-lose Strömung an einem Kontaktmuster beteiligt, das wir uns folgendermaßen aufschlüsseln können:
Stellen wir uns zwei Menschen vor, wiederum ganz normale Menschen wie du und ich. Für beide trifft zu, dass sie sich teils großartig und als «toller Typ» – teils aber auch mickrig fühlen, als armseliges Würstchen, das nicht viel zu bieten hat. Diese Ambivalenz in Bezug auf das eigene Selbst ist völlig normal und entspricht den Licht- und Schattenseiten der menschlichen Persönlichkeit. Nun passiert es aber, dass der eine von beiden eher Angst hat, seine großartige Seite zu zeigen und «auszuspielen» – seine kontaktzugewandte Seite ist die «Nicht-o.k.-Seite», die selbst-lose Seite, die in seiner Lebensgeschichte die Beziehungen zu den Mitmenschen schon immer erleichtert hat. Durch die gleichzeitig von ihm ausströmende positive Beziehungsbotschaft («Du bist maßgeblich!») leistet er beim anderen «narzisstische Aufbauarbeit». Dieser andere wird von Haus aus eher Angst vor der eigenen Mickrigkeit haben und ist daher dankbar für jede Bestätigung seines grandiosen Selbst. Gleichzeitig wird er dazu neigen, die eigene ungeliebte Schattenseite auf den anderen zu projizieren, was dieser ja in seiner Selbstdarstellung anbietet. Das Ergebnis eine perfekte Kooperation [12] , eine seelische Arbeitsteilung, die es beiden erspart, bedrohliche Teile des eigenen Selbst zu integrieren:
Abb. 23:
Zusammentreffen der «passenden» kontaktzugewandten Seiten
Der entsprechende Kreislauf ist von diesem «Zueinander-Passen» bestimmt und gibt der Beziehung zunächst jene Stabilität, die darauf beruht, dass keiner in seinen unterentwickelten Teilen gefordert ist:
Bis dahin sind beide durchaus zufrieden und jeder in seinem Element. Eben dieses macht die gegenseitige Anziehungskraft aus: Für den Partner ist die Beziehungsbotschaft, die er empfängt (und durch seine Selbstkundgabe als «toller Typ» auch anfordert), verführerisch und schmeichelhaft – kann er sich doch in seinem Wert, in seiner Würde und Größe spüren; und dass einem die Wünsche von den Augen abgelesen werden, ist ja auch nicht gerade unangenehm. Seine Zufriedenheit macht den Selbst-losen zufrieden (wie dies so seine Art ist: «Wenn du zufrieden bist, bin ich auch zufrieden!»), die herablassende Behandlung gibt ihm jene Sicherheit, die mit einer unterlegenen Position verbunden ist.
So weit, so stabil.
Aber auch dieser Kreislauf verwandelt sich leicht in einen Teufelskreis. Irgendwann wird sich der Partner des Selbst-losen durch dessen ständige Selbstentwertung «genervt» fühlen, und zwar umso deutlicher, je mehr er sich nach einem wirklichen Kontakt mit einem vollwertigen Gegenüber sehnt – und entsprechend wird sich seine herablassende Behandlung mit abweisender Distanz verbinden. Damit aber trifft er den
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