Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Gruppe von diesem Stuhl aus etwa zwei bis vier Minuten einiges über den «Anderen» erfährt, ist anschließend der Stuhl B dazu ausersehen, dass der Berichtende sich selbst erkundet: Wie seine Art ist, auf den schwierigen Anderen innerlich und äußerlich zu reagieren (zum Beispiel «Ich lasse mir das alles bieten, wage nicht zu unterbrechen, fühle mich z.T. wie ein verschüchtertes Schulkind, das seine Zensuren erhält» usw.).
Meistens fällt den Teilnehmern die Beschreibung auf dem Stuhl A leichter als die Innenschau auf dem Stuhl B. Dort helfe ich zuweilen ein wenig, indem ich hinter den Teilnehmer trete und als «Alter Ego» Formulierungen in der Sprache des Herzens anbiete und sogleich nachfrage, ob das von mir Eingefühlte für ihn zutreffe. Mit der Zeit beteiligen sich andere Gruppenteilnehmer gelegentlich an diesem «Doppeln» (vgl. Thomann und Schulz von Thun, 1988, S.108–122). So kommt jeder einmal dran und durchlebt eine Mini-Selbsterfahrung, welche teilweise bereits intensiv und aufschlussreich ist. So beschreibt ein Hauptabteilungsleiter einen «mürrischen Mitarbeiter mit Scheuklappen an den Augen» – und es stellt sich auf dem Stuhl B heraus, dass er sehr allergisch auf diesen Mann reagiert, da ihm oft selber so zumute ist, er sich aber alle Mühe gibt, «extravertiert zu erscheinen». Dann und wann hebe ich das Erlebte auf die allgemeine Ebene: Es sei normal und menschlich, dass einen am anderen das aufrege, was man an sich selbst nicht leiden könne. Nur meistens sei dieser Mechanismus nicht bewusst und es könne spannend sein, sich selbst auf die Spur zu kommen. –
Im Leben sind beide Stühle wichtig – sie entsprechen menschlichen Kontakt-Ein-Stellungen, und während im Idealfall beide psychisch zur Verfügung stehen und je nach Situationserfordernis wechseln können, scheinen wir im Normalfall eine Tendenz zu bevorzugen. Einige Menschen bleiben zeitlebens auf dem Stuhl A «kleben». Diese Strategie entlastet zumindest vorübergehend von Schuldgefühlen und Selbstzweifeln (die auf Stuhl B wahrscheinlich aufkämen). Dagegen bietet der Stuhl B die Chance, mit sich selbst mehr ins Reine zu kommen und durch die Entdeckung der eigenen Anteile vom Opfer zum Mit-Urheber des eigenen Lebens zu werden. Umgekehrt bietet der Stuhl A jenen Menschen eine Chance, die Kampfgeist und Konfrontationsfähigkeit entwickeln wollen (vgl. S. 157f.).
5.
Der sich beweisende Stil
5.1
Erscheinungsbild, Grundbotschaft und seelischer Hintergrund
Auch bei dieser seelischen Strömung sind wir von der Sorge um den eigenen Wert erfasst. Anders als der Aggressiv-Entwertende betreiben wir hier unsere Selbstwertsicherung nicht durch Herabsetzung der anderen, sondern durch eine besondere Anstrengung, uns selbst ins rechte Licht zu setzen, kompetent und gescheit zu erscheinen, um nur ja keinen schlechten Eindruck zu machen. Lautete die Grundbotschaft bei jenem «Du bist nicht in Ordnung!», so lautet sie hier beschwörend «Ich bin ohne Fehl und Tadel!» und wird umso eindringlicher vorgetragen, je quälender sich die eigenen Selbstzweifel in den musternden Augen der Umwelt projiziert finden:
Abb. 30:
Grundpose des sich beweisenden Stils
In einer Welt von strengen Richtern und ehrgeizigen Rivalen darf man sich keine Blöße geben, keine Fehler oder sonst wie eine schlechte Figur machen – denn das Urteil wäre fürchterlich: «Ein Versager!»
Die Grundbotschaft, die von uns ausströmt, wenn wir uns in diesem Spannungsfeld von Ehrgeiz und Selbstzweifel befinden, lautet in ihrer quadratischen Struktur:
Abb. 31:
Grundbotschaft des sich beweisenden Stils
Die Imponier- und Fassadentechniken, die im Dienste dieser Grundbotschaft stehen, sind im ersten Band ausführlich beschrieben worden (S.119ff.). In zahllosen Variationen hört der Empfänger immer und immer wieder das «Sieh her!» im Ohr klingen: «Sieh her,
– wie ich doch gelehrsam reden kann,
– was ich alles geschafft habe, was ich alles mein Eigen nenne,
– wo ich überall als wichtige Person gefragt bin,
– wen ich alles kenne (und mit wem ich mich sogar duze!),
– wo ich überall maßgeblich mitmische,
– worüber ich alles Bescheid weiß und kluge Ausführungen machen kann,
– was ich schon für Heldentaten begangen habe»!»
Solche narzisstischen Grundkundgebungen können durchaus dezent, nur auf dem «Kanal der Beiläufigkeit» vermittelt sein – jedenfalls fühlt der Angesprochene sich immer wieder aufgefordert, mit anerkennendem
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