Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
begegnet!» – Und an den Gastgeber wollte er, sobald dieser ihm das Brot reichte, die Worte richten: «Vielen Dank, verehrter Brotgeber!»
Alles ging schief. Den ersten Satz richtete er fälschlicherweise an das Dienstmädchen, der zweite blieb ihm im Halse stecken, als der Hausherr ihm das Brot mit den Worten reichte: «Lieber Herr Stock, darf ich mich, vorläufig auf diese Weise, als Brotgeber demonstrieren?» – Um seine «blindwütige Verlegenheit» zu bewältigen, versuchte er erneut den Satz mit der «akustischen Begegnung», diesmal an die richtige Adresse, jedoch erneut Irritation auslösend: Ja, sehr drollig, das Dienstmädchen habe schon erzählt …
Wir begleiten Sebastian Stock, der daraufhin in unsäglicher Peinlichkeit das Haus verließ, mit einer Mischung aus Schadenfreude und solidarischem Mitleid, wohl ahnend, dass wir uns selbst in ihm gespiegelt finden in dem Bemühen, vor wichtigen Leuten einen guten Eindruck zu machen, dabei aber versteifen und unnatürlich werden – bis hin zu jener Selbstentfremdung, bei der wir innerlich nicht mehr fragen, was wir zu sagen haben , sondern was jetzt günstig und passend zu sagen wäre .
Das alles ist gut eingeübt in einem System, das die leistungsstarke Selbstdarstellung prämiert und z.T. schon Elternhaus und Schule zu einer Brutstätte der Selbstoffenbarungsangst werden lässt. Die Frage «Was gebe ich von mir, um gute Noten zu erreichen?» ist bei Schulabgang gut verinnerlicht (mit Ausnahme der Entmutigten und Ausgegrenzten) und wird im Berufsleben sogleich wieder aufgefrischt. So ist der Teufelskreis von Konkurrenz und Selbstprofilierung, meist verbunden mit grobschlächtiger oder subtiler Entwertung der Gegner, in einer männlich dominierten und hierarchisch gegliederten Berufswelt strukturell vorgeprägt. Das heißt nicht, dass wir dagegen ohnmächtig wären: Jeder Vorgesetzte kann, indem er sich als Entwicklungshelfer seines Teams versteht, den Geist und den Kommunikationsstil seiner Abteilung nachhaltig beeinflussen – nicht zuletzt dadurch, dass er sich selbst auch einmal nachdenklich und zweifelnd zeigt, Fehler zugibt und eigene Schwächen einräumt. Das heißt aber, dass alle Mitarbeiter sowie er selbst in das eigenartige Dilemma hineingestellt sind, dass Kooperation und Konkurrenz nebeneinander bestehen müssen.
Auch Schulungsmaßnahmen, die das kooperative Miteinander fördern sollen, sind in dieses Dilemma verstrickt: Wollen wir doch unseren Kursteilnehmern das kleine ABC des offenen und fairen Dialogs beibringen – während diese zum Teil eher neues Rüstzeug aus der Waffenschmiede der Manipulationspsychologie erhoffen, um im Teufelskreis der Konkurrenz die Oberhand zu behalten (Schulz von Thun, 1984)! Wenn es auch theoretisch keinen Ausweg aus dem Dilemma gibt, scheint es in der konkreten praktischen Situation immer Wege zu geben, damit zu leben. Solche Wege sind am besten dadurch zu ebnen, dass alle Beteiligten eine klare Bewusstheit ihrer Situation entwickeln, da dieses am ehesten sowohl vor naiver Solidaritätsgläubigkeit als auch vor ruinöser Rivalitätsmentalität bewahrt. Es scheint, als ob das entsprechende Leitbild wieder dialektisch strukturiert sein sollte, um das Humanitätsideal nicht «auf verlorenem Posten» verkommen zu lassen:
Nachdem wir an dieser Stelle unseren systemischen Blickwinkel erweitert und auch Rahmenbedingungen des strukturellen Systems mitbetrachtet haben, kehren wir zurück auf die zwischenmenschliche Ebene. Ein komplementärer Teufelskreis kann dadurch entstehen, dass der sich Beweisende, indem er wiederholt und nachdrücklich Anerkennung von seinen Mitmenschen fordert, die gegenteilige emotionale Wirkung erzeugt: eine unwirsche Verdrossenheit, wieder und wieder diese «Bestätigungsarbeit» leisten zu müssen. So mögen sie bald dazu neigen, ihren Reaktionen einen kritischen Unterton zu geben – etwa von der Art
«So gut bist du ja nun auch nicht, sieh mal hier und dort deine Schwächen und Fehler!», oder
«Ist ja gut! Du bist der Größte, wir wissen es ja nun!»
In das empfindlich gespitzte Beziehungs-Ohr des sich Beweisenden gelangen damit genau jene Töne, die seine Selbstzweifel anrühren und dazu verleiten, «mehr desselben» (Watzlawick, 1974) zur Bewältigung dieses Notstandes zu produzieren: Rechtfertigungen, Erklärungen, erweiterte Selbstdarstellungen – welche ihrerseits die unwirsche Verdrossenheit der Umwelt nur noch mehr steigern, was wiederum … usw.:
5.3
Richtungen der
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