Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
«rational-emotiven Therapie» (Ellis, 1977), bei welcher der Klient dazu angehalten wird, bestimmte irrationale Glaubenssätze infrage zu stellen, die ihn innerlich leiten – mit der beabsichtigten Folge, dass sich dann auch die hinderlichen Gefühlsreaktionen ändern. Zwar glaube ich, dass wir mit der Kraft unseres Geistes unsere Emotionen beeinflussen können, jedoch sind unsere Emotionen auch Erkenntnisorgane, die dem Geist Wahrheiten vermitteln können, die dieser nicht übergehen darf.
Direktheit und Takt. Ein weiteres Werte- und Entwicklungsquadrat, das im Zusammenhang mit dem aggressiv-entwertenden Stil von Belang ist, betrifft die Balance von Direktheit und Takt. «Sag’s direkt!», lautete die therapeutische Parole der siebziger Jahre und formulierte damit Widerstand gegen die vornehme Art der «besseren Kreise», die als gespreizt und heuchlerisch entlarvt wurde. Diese besseren Kreise hielten sich auf ihren diplomatischen Stil etwas zugute: ermöglichte er es doch, auch bei krassen Gegensätzen den Takt zu wahren, miteinander weiter zu verkehren und sich so vom «Pöbel» abzugrenzen, der im Rufe stand, seine Konfrontationen zwar rau, aber durchaus nicht immer herzlich auszutragen. – Wieder stehen zwei Werte gegeneinander und fordern uns die Kunst ab, sie situationsgerecht zu gewichten und wenn möglich miteinander zu vereinbaren:
Die Kunst der taktvollen Direktheit entzieht sich jeder Rezeptur und ist nur am konkreten Beispiel zu entwickeln. In unseren Kommunikationsseminaren gehört dies zu den am häufigsten genannten Anliegen: Wie kann ich jemanden kritisieren (sagen, was mich an ihm stört), ohne ihn zu kränken (ohne die Beziehung zu gefährden etc.)? Nun kann man zwar niemandem den Pelz waschen, ohne ihn nass zu machen, aber zu seiner Reinigung ist es vielleicht nicht nötig, drei Kübel Wasser über den Kopf zu gießen.
Besonders im beruflichen Bereich gehört zur taktvollen Konfrontation, dass der Empfänger auf der Beziehungsseite keine Abwertung erfährt. Entscheidend ist, dass das zu kritisierende Verhalten (oder der zu kritisierende Standpunkt) mit Worten dargestellt wird, die nicht in sich schon eine Abwertung enthalten. Dies ist nach meiner Erfahrung ein nur sehr schwer zu erlernender Aspekt der Kommunikationsfähigkeit. Es scheint, als hätten wir zur Darstellung der Handlungen und Meinungen unserer Kontrahenten nur Pfeile im Köcher, sprich: nur Wörter und Formulierungen im Repertoire, die von vornherein eine Minderwertigkeit ausdrücken! Es ist ein Unterschied, ob ich zu einem Mitarbeiter sage: «Sie kommen aber auch bei jeder Kleinigkeit angerannt, um sich alles absegnen zu lassen!», oder ob ich das zu beanstandende Verhalten zunächst neutral (oder sogar aufwertend) beschreibe: «Sie vergewissern sich jeweils sehr systematisch, ob das, was Sie vorhaben, von der Geschäftsführung auch wirklich gebilligt wird.» Aber lässt die zweite Version nicht jede Direktheit vermissen? Nur wenn sie an dieser Stelle aufhören würde (nach dem Motto: «Man muss es ihm durch die Blume sagen!»)! Wenn sie hingegen eine Beanstandung oder Bitte einleitet, ist folgender Unterschied zur ersten Version gegeben: In dieser sind Kränkungen enthalten, durch Wendungen wie
– «bei jeder Kleinigkeit»,
– «angerannt»,
– «absegnen lassen».
Solche kränkenden Elemente – und seien es auch nur Spurenelemente – führen dazu, dass in dem Angesprochenen eine innere Energie erzeugt wird, die auf persönliche Rehabilitierung ausgerichtet ist. Eine solche Selbstverteidigungsenergie ist einer sachlichen und problemlösungsbezogenen Energie entgegengesetzt. Wer die «Rollläden herunterlässt» und innerlich «nachrüstet», ist, zumindest für den Augenblick, für die sachliche Kooperation verloren. – In der zweiten Version hingegen wird durch die Formulierung: «Sie vergewissern sich …» jene Gewissenhaftigkeit mit angesprochen, die prinzipiell zu würdigen ist. Nachdem auf diese Weise der Selbstwert des Angesprochenen nicht unnötig bedroht ist, kann er innerlich eher auf «sachliches Interesse» schalten und weiter zuhören, zum Beispiel wenn ich fortfahre: «Kleine Dinge können Sie aber durchaus in eigener Kompetenz entscheiden, das wünsche ich mir sogar! Unter kleinen Dingen verstehe ich zum Beispiel …»
Ebenso kommt es bei inhaltlichen Kontroversen darauf an, den Standpunkt des anderen mit liebevoller Gründlichkeit so zu studieren, dass ich ihn mit eigenen Worten wiedergeben
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