Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
kommen einem manchmal vor wie Artisten, die einen Teller nach dem anderen auf langen Stäben kreiseln lassen: Es werden mehr und mehr, bis sie schließlich, hin und her und her und hin, von diesem zu jenem Teller eilen, der jeweils gerade am ehesten herunterzufallen droht, um ihn schnell wieder in seine Kreiselbewegung zu versetzen, wobei sie schon im Moment des erneuten Ankurbelns ihren Blick auf die Tellerreihe wenden, um den nächstdringlichen Fall auszumachen. Hinter dieser betriebsamen Hektik steht auch die Angst, zur Ruhe zu kommen und dann, in der Abschirmung von grellen Außenreizen, den Impulsen der eigenen Innenwelt ausgesetzt zu sein. Wenn sie jemanden nicht ausstehen können, dann die, die «faul in der Sonne herumliegen», die Gammler und Tagediebe, die den ganzen Tag herumlungern und nichts zustande bringen. Haben sie doch selbst, um dieser «Nichtsnutzigkeit» zu entgehen, ihr Leben dem Effektivitätsdenken und der Leistung geweiht. Aber wo «Welten» dazwischen zu liegen scheinen, da handelt es sich doch um eine seelische Nachbarschaft! Als eine Studentin ihren berufstätigen, stets zweihundertprozentig im Einsatz befindlichen Partner fragte, ob er nicht des Guten ein wenig zu viel tue, antwortete er: «Nein, das muss ich haben, denn sonst bin ich im Grunde ein stinkfauler Sack!»
Nur allzu leicht können wir unter dem Einfluss der sich beweisenden Strömung zum «Versager» werden – dann nämlich, wenn die Angst vor der Durchschnittlichkeit und vor dem Unperfekten uns daran hindert, überhaupt noch etwas zustande zu bringen. Plötzlich sind es «unerklärliche» Arbeitsstörungen – vielleicht auch Krankheiten oder neurotische Symptome, die uns lahmlegen. Alfred Adler sah in solchen Neurosen und Krankheiten einen strategischen Winkelzug: Kann es doch auf diese Weise gelingen, denjenigen Lebensbereichen auszuweichen und sich vor solchen Aufgaben zu drücken, denen man sich nicht gewachsen fühlt – ohne aber vor sich selbst und vor anderen als Versager dazustehen! Die Selbsttäuschung «Was könnte ich nicht alles zustande bringen, wenn ich dieses lästige Symptom oder diese lästige Krankheit nicht hätte!» bleibt aufrechterhalten.
Nicht selten erlahmen die Kräfte in einem Maße, dass es äußerer Mittel bedarf, um weiter einen guten Eindruck zu machen und sich allen Herausforderungen gewachsen zu zeigen. Unter dem Einfluss von Alkohol und Medikamenten mag es noch eine Zeitlang gelingen, die Fassade von «alter Frische» aufrechtzuerhalten – während dahinter der Zerfall schon unaufhaltsam eingesetzt hat. Die Krankheit, der Zusammenbruch können dann fast wie eine Erlösung geeignet sein, eine Umkehr zu erzwingen (Mock, 1986).
5.2
Der systemische Blickwinkel
Auch der sich Beweisende ist in typische zwischenmenschliche Kreisläufe verstrickt, welche geeignet sind, seine Beweisnot immer neu zu entfachen.
Ein symmetrischer Teufelskreis entsteht, wenn in einer Gruppe Leute sind, die ebenfalls hohe Ansprüche an den eigenen Kompetenzerweis stellen und durch hochgescheite und «Maßstäbe setzende» Beiträge ein Klima von Konkurrenz und Beweisnot schaffen:
Eine solche Gesprächsatmosphäre wirkt entweder hektisch oder verkrampft und unlebendig. Keiner hört wirklich zu – es lohnt sich auch nicht, denn die «Selbstprofilierungen» der anderen bringen ja doch nichts Neues, enthalten doch nur Schaumschlägerei. Was tun? Wie kann man die Redezeit der anderen nutzen, um für das Eigenprofil zu arbeiten? Am besten, man lauert auf Stichworte, die sich für den eigenen Beitrag eignen: Dieser will jetzt auch gut geplant und vorformuliert werden, um zum gegebenen Zeitpunkt in rhetorischer Pracht zu glänzen – oder doch zumindest nicht zu verunglücken. Das Herz fängt an zu klopfen, der Auftritt steht bevor – gleichgültig, ob er etwas nützt, Hauptsache souverän, unangreifbar und das Niveau haltend!
Erich Kästner hat in einer Kurzgeschichte («Sebastian ohne Pointe», 1969, S.239ff.) mit heiterer Ironie einen Mann beschrieben, der «am Dialog litt», der «für ein Genie der Konversation gelten konnte – solange er allein war». Es war seine Gewohnheit, sich vor bedeutsamen gesellschaftlichen Anlässen geistreich formulierte Gesprächsbeiträge zurechtzulegen. Zu einem Abendessen bei seinem künftigen Arbeitgeber eingeladen, nahm er sich vor, die Dame des Hauses (mit der er schon telefoniert hatte) mit den Worten zu begrüßen: «Gnädige Frau sind mir bisher leider nur akustisch
Weitere Kostenlose Bücher