Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Weise:
Beim ersten Mal unter dem Vorzeichen
«Mit mir ist nicht viel los – mein Leben:
eine gescheiterte Existenz!»
Indem die Person mit dieser Brille auf ihr Leben schaut, spricht sie alles aus, was ihr in den Sinn kommt – etwa fünf bis zehn Minuten lang, zum Beispiel
«Nun bin ich fünfunddreißig und immer noch nicht zu Potte gekommen – keine feste Stellung, keine Familie, keine Kinder, kein Nichts. Ich bin völlig unfähig, mich für eine Sache einmal wirklich zu entscheiden …» usw. usw.
Die berichteten Inhalte sollen alle wahr sein, aber in ihrer Auswahl und Betrachtungsweise unter dem Diktat des Minderwertigkeitsgefühles stehen. Es kann übrigens sehr entlastend sein, auf diesem Stuhl einmal erlaubterweise negativ «vom Leder zu ziehen».
Beim zweiten Mal soll derselbe Bericht unter dem Vorzeichen
«Mit mir ist ordentlich was los –
mein Leben ohne Fehl und Tadel!»
wiederum ganz ehrlich und ohne große Übertreibungen alles aussprechen, was einem mit dieser Brille spontan in den Sinn kommt, zum Beispiel
«Nun bin ich fünfunddreißig und habe schon einiges erlebt und gelernt, was andere nicht haben, zum Beispiel … – und gottlob habe ich mich noch nicht so festgelegt in meinem Leben, mir stehen viele Türen offen, und ich muss nichts überstürzen – und was ich offenbar sehr gut kann, das ist …» usw. usw.
Anschließend soll eine Auswertung und Aussprache erfolgen: Wie ist es dem Protagonisten auf den beiden Stühlen ergangen – wie hat es sich angefühlt, in dieser Weise über sich selbst zu sprechen? Welche Version war schwerer, welche leichter? Und wie hat der Partner bzw. wie haben die anderen Gruppenteilnehmer innerlich reagiert? Hat/haben sie auf dem ersten oder zweiten Stuhl etwas Wichtiges vermisst, aus ihrer Kenntnis der Person heraus?
Sinn und Ziel dieser Übung besteht darin, beide Seiten unerschrocken anzusehen und das, was vielleicht zunächst als eine Art Kippbild den Eindruck von Entweder-oder macht, als zusammengehörig, als Sowohl-als-auch zu erleben.
6.
Der bestimmende-kontrollierende Stil
6.1
Erscheinungsbild, Grundbotschaft und seelischer Hintergrund
Unter dem Einfluss dieser Strömung trachten wir danach, die Dinge so zu lenken und zu korrigieren, dass sie unter unserer Kontrolle bleiben und dadurch ihren rechten Fortgang nehmen – die «Dinge», und ebenso die Mitmenschen! «Wenn nicht alles immer nach deiner Mütze geht, dann bist du nicht gesund!», mag sich jemand gegen seinen Partner empören, der mit Nachdruck und Eifer seine Vorstellungen durchzusetzen sucht. Und tatsächlich, wenn diesem die Fäden entgleiten und die Dinge (oder Menschen) sich ohne oder gar entgegen seinem lenkenden Zugriff entwickeln, dann wird er von einer verdrossenen Nervosität erfasst, die sich innerlich zur Angst und äußerlich zu grimmigem Zorn steigern kann. Angst wovor und Zorn worüber? Angst vor Überraschungen, spontanen Veränderungen, Chaos – vor Kontrollverlust . Zorn über all jene, die ihm mit ihrer Unberechenbarkeit immer wieder einen Strich durch die Rechnung machen und ihm seine Ohnmacht dreist vor Augen führen – «ihm» oder «ihr» –, Männer und Frauen können von dieser Strömung gleichermaßen erfasst werden.
Die Angst vor Chaos und Kontrollverlust, vor «bösen» Überraschungen und überhaupt vor den Wechselfällen des Lebens führt im Extrem zu einer «zwanghaften» Lebensführung, in der pedantische Regelmäßigkeiten und Rituale, starre Normen und Prinzipien, ausgefeilte Planung und Organisation eine große Rolle spielen – mithin alles, was ein wenig Sicherheit und Berechenbarkeit in dieses gefährlich-wirre Leben bringt. Wo «alles fließt», können nur starke Gerüste Halt bieten. Riemann (1969) hat die zugrunde liegende Charakterstruktur trefflich beschrieben, und Thomann hat sie für den Zweck der Gesprächshilfe in einen beziehungsdynamischen Kontext gesetzt (Thomann und Schulz von Thun, 1988). Ich möchte an dieser Stelle vor allem wieder den Kommunikationsstil herausarbeiten, der sich mit dieser Strömung verbinden kann.
Abb. 34:
Grundpose des bestimmenden-kontrollierenden Stils
Die von ihm (oder ihr) ausströmende Grundbotschaft enthält als unerschütterliche Selbstkundgabe «Ich weiß, was richtig ist!» Diese Gewissheit erstreckt sich von den alltäglichen Verrichtungen wie der Handhabung einer Zahnpastatube (von hinten aufrollen!) bis hin zu grundlegenden Fragen der Lebensmoral. Wenn sich alle mit Bedacht und Disziplin an die
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