Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
mich gegen mich selbst versündige?
Leider reicht es nicht aus, in dem vollen Terminkalender noch zusätzlich einen Yoga-Kurs oder einmal die Woche autogenes Training einzuplanen. Erforderlich ist ein grundsätzliches Überdenken dessen, was dem eigenen (begrenzten) Leben Sinn gibt und daher Vorrang haben soll. Damit ist keiner «neuen Innerlichkeit» das Wort geredet, sondern einer Balance von Leistung und Besinnung, ganz wie es Dürckheim (1973) meint, wenn er sagt:
«Es steht der Mensch in einem doppelten Auftrag: die Welt zu gestalten [18] im Werk , und zu reifen auf dem inneren Weg .» (S.26) Wo immer für dieses Und ein Entweder-oder steht, haben wir in unglückseliger Polarisierung auf der einen Seite «das allein von den Forderungen der Welt ins Geschirr genommene Leistungstier, das nach außen hin funktioniert, in dessen Mitte aber, wo das richtende, ordnende und beseelende Zentrum sein sollte, eigentlich nur ein Hohlraum ist, in dem, umpanzert von einem ängstlichen und leicht verletzbaren Ich, das eigene Wesen ein Schattendasein führt! Aus der Atemnot seines vernachlässigten Wesens kommen dann jene Gefühle unbegreiflicher Angst, Schuld und Leere, die heute so mancher erlebt, der, äußerlich gesehen, auf dem Gipfel seiner Entfaltung zu stehen scheint – und doch am Leben scheitert, weil er sich selbst verfehlt hat.» (Zusammengefasst nach Dürckheim, 1973, S.40)
Auf der anderen Seite hat sich eine Gegenbewegung formiert, die «den Weg nach innen» einschlägt, fasziniert von immer neuen Tiefenschichten des eigenen Wesens und immer neuen Angeboten auf dem breit gewordenen Markt der psycho-spirituellen Branche. Sie läuft die genau entgegengesetzte Gefahr, die Erkundung und Vertiefung des eigenen Wesens zum heiligen Selbstzweck zu erklären und sich von Politik, Wirtschaft und alltäglichen Geschäften in ein «Ghetto der Innerlichkeit» (Richter, 1982) zurückzuziehen.
Wieder stehen wir uns als Repräsentanten jener «schwarzen Tugenden» gegenüber, die – im Keller des Wertequadrates – von der Unfähigkeit zur dialektischen Integration zeugen:
Kehren wir von der allgemeinen Lebensführung zurück zur zwischenmenschlichen Kommunikation . Der sich Beweisende muss lernen, von sich selbst auch solche Seiten zu zeigen, die nicht dem Ideal der «halben Portion» entsprechen – jener halben Plus-Portion nämlich, in der nur das Ansehnliche, Vorzeigbare, Souveräne aufgehoben ist:
Abb. 32:
Notwendiger Entwicklungsschritt vom Entweder-oder zum Sowohl-als-auch
Die Weiterentwicklung des Sich-Beweisenden besteht darin, die Negativseite seiner Persönlichkeit wahrzunehmen und anzunehmen («Jawohl, so bin ich auch!») und aufzuhören, diese Seite mit dem Makel der Verächtlichkeit zu belegen («… und das darf sein, ist völlig in Ordnung so!»). Ein echtes Liebeserlebnis kann zu dieser heilsamen Integration entscheidend beitragen – denn die Liebe gilt dem ganzen Menschen und nicht seiner vorteilhaften Vorzeigehälfte. Hier beißt sich allerdings die Katze in den Schwanz, wenn er durch großtuerisches Gehabe regelmäßig «die Falsche» einfängt (oder sie den Falschen).
In Selbsterfahrungs- und Therapiegruppen ist die Kunst der positiven Selbstdarstellung verpönt – vielmehr besteht die Chance, auch einmal die andere Hälfte zuzulassen und die «sensationelle» Erfahrung zu machen, dass gar nicht das eintritt, was man sich heimlich immer ausgemalt hat – nämlich bei allen untendurch zu sein und nur noch verachtet oder mitleidig belächelt zu werden. Ganz im Gegenteil – die anderen Menschen reagieren mit Sympathie und Gefühl, und dieses Erlebnis kann eine seelische Basiskorrektur einleiten. Es gilt nur aufzupassen, dass hier nicht infolge einer sich herausbildenden Gruppennorm, jeder müsse sich klein machen und von der problematischen Seite zeigen, um akzeptiert zu werden, eine neue Anpassungsleistung gefördert wird (nach dem Motto: «Aha, in der Blöße liegt die Größe – jetzt muss ich mir aber mal ordentlich Blößen geben, und zwar möglichst gravierendere als die anderen – dann bin ich hier Nr. 1!»). Der so entstehende neue «Problem-Narzissmus» hätte die alte Beweisnot, nur mit umgekehrten Vorzeichen, durch die Hintertür wieder eingeführt – die Spaltung von Abb. 32 verewigt. Demgegenüber zeugt von der Überwindung dieser Spaltung ein Satz, mit dem eine Studentin ihren inneren Prozess verdichtet hat:
«Ich kann groß und klein –
vollkommen unvollkommen sein!»
Das
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