Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Regeln halten würden, dann könnte man dem Leben mit Ruhe und Zuversicht entgegensehen. Aber entsetzlich! Es gibt immer wieder Leute, die ihren eigenen Kopf haben, sich um nichts scheren und mit ihrem Flattersinn alles durcheinanderbringen, was mit Ordnung und Verstand so gut geregelt sein könnte. Diese Leute finden sich oft ausgerechnet in der allernächsten Umgebung – Partner, Kinder, Verwandte, Wohngenossen, Mitarbeiter und Berufskollegen: Alle müssen erst noch auf den richtigen Weg gebracht werden – eine Sisyphusarbeit, weil die Menschen dazu neigen, mit Eigensinn auf ihren Irrungen und Wirrungen, auf ihren Vergesslichkeiten und Nachlässigkeiten zu bestehen.
«Wo willst du jetzt wieder hin?», fragt nervös der Ehemann seine Frau, die «plötzlich und ohne ersichtlichen Grund» vom Kaffeetisch aufsteht. «Es steht doch alles da – Kaffee, Kuchen, Milch, Zucker, Bestecke –, alles vollständig und wie es sich gehört. Gott sei Dank. Also, was muss sie jetzt wieder aufstehen? Zur Toilette vielleicht? Geht man doch morgens! Wenigstens könnte sie doch ein Wörtchen sagen, wo sie jetzt hin will – wenn man Bescheid weiß, ist alles halb so schlimm! Aber sie hat ja immer ihren eigenen Kopf! Neulich kam sie doch eine geschlagene Dreiviertelstunde zu spät nach Hause, ohne auch nur einen Zettel hinterlassen zu haben! Und als sie endlich kam, brachte sie ‹als Überraschung› ihren Bruder aus Holland mit heim! Wie ich solche Überraschungen hasse! Man muss sich doch ein wenig einstellen können auf das, was auf einen zukommt. Die ersten eineinhalb Tage ist man überhaupt nicht ansprechbar! Dann hat dieser Herr Bruder seine ganzen Sachen auf die Wohnung verstreut, ist vor dem Frühstück spazieren gegangen (hat natürlich den Haustürschlüssel nicht mitgenommen!), kam dann zum Frühstück, wo Kaffee wie immer in einer Porzellan- und einer Thermoskanne bereitstand. Ohne zu zögern nahm er sich Kaffee: aus der Thermoskanne ! Das darf doch wohl nicht wahr sein! Und dann war er auch noch beleidigt, als ich ihn entschieden bat, sich doch bitte zweckmäßigerweise zunächst aus der Porzellankanne zu bedienen! – Na ja, wenn ein solcher Gast wieder abreist, macht man natürlich drei Kreuze und räumt dann erst einmal gründlich auf.»
Die Beziehungsbotschaft , die vom Bestimmenden ausgeht, lautet: «Du kannst es nicht richtig, du weißt es nicht recht – wenn man dich dir selbst überlassen würde, dann kann es nicht gut ausgehen!» – Zwar ist daran auch etwas Entwertendes (und wird zum Teil so empfunden), aber im Gegensatz zur aggressiv-entwertenden Strömung besteht das Hauptziel hier nicht in der Herabsetzung des anderen, sondern darin, ihn zu ändern, zu formen, zu kontrollieren.
Die Einschätzung des Mitmenschen als jemand, der von sich aus nicht richtig handeln würde, macht es in seiner subjektiven Logik nötig, ihn mit Appellen auf den Weg der Tugend, der Vernunft, der Ordnung und Zweckmäßigkeit zu führen. Die diesem Stil innewohnende Gefahr besteht darin, fremdes «Hoheitsgebiet» unbefugt zu betreten – immer muss mit der abwehrenden Reaktion gerechnet werden: «Was geht dich das an, was hast du mir da hineinzureden? Lass mich das doch machen, wie ich das will!» Typischerweise werden daher die Appelle nicht als persönliche Wünsche ausgesprochen und aus eigenen Bedürfnissen abgeleitet, sondern normativ, als Regel, im Namen eines höheren Gesetzes. Also
nicht
sondern
«Mir zieht es, würden Sie das Fenster schließen?»
«Während der Fahrt gehören die Fenster geschlossen.»
«Wartest du nochmal, Herbert? Ich hatte mir die Sitzordnung anders gedacht!»
«Aber Herbert, du kannst dich doch nicht einfach hinsetzen. Man wartet ab, bis einem der Platz zugewiesen wird!»
«Es stört mich, wenn du jetzt rauchst!»
«Beim Essen wird nicht geraucht!»
Abb. 35:
Grundbotschaft des bestimmenden-kontrollierenden Stils
Es ist allein schon die Vielfalt der Appelle und Verhaltenskorrekturen, durch die sich der bestimmende Stil offenbart. Als Reinhard und Anne-Marie Tausch vor zwanzig Jahren in Klassenzimmern und Elternhäusern das verbale Verhalten der Erzieher beobachteten, stellten sie fest, dass das Ausmaß an Dirigierung (Lenkung, Bevormundung, Gängelung) enorm hoch war und den Kindern und Jugendlichen wenig Freiraum ließ, eigenständig und initiativ (statt abhängig und reaktiv) ihren Willen und ihre Gedanken zum Ausdruck zu bringen. Im Folgenden ein erdichtetes (und verdichtetes)
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