Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Beispiel:
Vater (zu seiner sechzehnjährigen Tochter): Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst die Haare nicht so wüst nach oben bürsten, Anna, wie sieht das denn aus!
Tochter: Ach, ist doch nur ein bisschen – bei den anderen …
Vater: Wir sind doch nicht die anderen, Anna! Und pass auf, dass du dich warm anziehst – so kannst du meinetwegen in den geheizten Räumen herumlaufen, aber doch nicht draußen!
Tochter: Ja, Papa.
Vater: Und vergiss nicht, Herrn und Frau Eberling wenigstens guten Tag sagen – richte einen Gruß aus und sprich in ganzen Sätzen, nicht in deinem üblichen Telegrammstil …
Tochter: Ja, wenn ich dazu Lust habe!
Vater: Ach, Anna, das geht doch nicht nach Lust und Laune bei solchen Dingen. Wie oft habe ich dir schon gesagt …
Tochter: Etwa zweihundertmal bestimmt!
Vater: Ja eben, weil du dich immer wieder so schnoddrig aufführst – du musst auch mal ein bisschen daran denken, wie das auf andere wirkt! Also reiß dich ein bisschen zusammen, und vergiss nicht, das Licht in deinem Zimmer auszumachen, wenn du weggehst. Gestern habe ich wieder zwei Lampen und das Radio in deinem Zimmer ausgemacht!
Tochter: Da war ich nur mal eben auf Klo gewesen …
Vater: … wo du den Wasserhahn wieder hast tropfen lassen – den musst du ganz fest zudrehen, hörst du? – Und danach hast du noch über vierzig Minuten mit diesem Roberto Soundso telefoniert, als ob du nichts Besseres zu tun hättest und als ob ich dir nicht ohnehin erklärt hätte, dass dies nun auch nicht der allerbeste Umgang für dich ist. Sag mal, was wollte der eigentlich wieder von dir?
Tochter: Ach, nur so!
Vater: Ja, ja – und ‹nur so› geht es dann munter im Acht-Minuten-Takt und auf meine Kosten den ganzen Nachmittag hindurch. Du kannst dich doch sonntags mit deiner Freundin treffen und dann könnt ihr meinetwegen stundenlang über Gott und die Welt palavern – da hat doch niemand etwas dagegen. Aber ein für alle Mal will ich nicht, dass dieser Roberto dich von deiner Schularbeit abhält und uns das Telefon blockiert. Und unter uns gesagt: Man sucht sich die Menschen doch ein bisschen aus, mit denen man Umgang pflegt! Wenn das so weitergeht, sehe ich dich schon irgendwo in der Gosse landen!
Tochter: Also, ich gehe jetzt!
Vater: Und vergiss den Schlüssel nicht wieder, und sei pünktlich zurück, ja?
Tochter: Wiedersehen!
Der bestimmende Stil kombiniert sich gern, wie in diesem Beispiel, mit dem aggressiv-entwertenden Stil und ergibt dann jenes «autoritäre Verhalten», das auch heute noch weit verbreitet ist; oder er kombiniert sich mit dem helfenden Stil zu einem aufdringlichen, zuweilen etwas geschwätzigen Beratungsverhalten, bei dem missionarische Predigten dem Partner zu seinem Glück verhelfen sollen. Psychotherapeuten lernen in ihrer Ausbildung, ein rotes Alarmlämpchen aufleuchten zu sehen, sobald sie anfangen, mit Engelszungen ihren Klienten bestimmte «Einsichten» nahezulegen. Die Faustregel lautet: Was du anderen predigst, predigst du dir selbst! Pass auf, dass du nicht unbewusst deine eigenen Angelegenheiten beim Klienten verfolgst; pass auf, dass du ihn nicht dazu benutzt, dir selbst etwas einzureden, wogegen du offenbar erheblichen psychischen Widerstand aufbringst.
Wahrscheinlich liegt in der Übertragung innerseelischer Anliegen auf zwischenmenschliche Zielsetzungen einer der Schlüssel für jene direktive Einstellung, die den Mitmenschen als einen Risikopatienten ansieht, den man dringend heilen, formen, «in den Griff kriegen» muss. Vielleicht hat der Bestimmende Anlass, sich selbst mit aller Macht in den Griff kriegen zu müssen ? All seine Prinzipien und Reglementierungen, all seine Anstandsregeln und Dogmatismen mögen ein gewaltiges Bollwerk sein, errichtet gegen jene unberechenbaren Größen seiner Innenwelt, die – tief in die Unterwelt verstoßen – nur darauf warten, ein Schlupfloch im Bollwerk zu finden, um ihr sündiges, gieriges, maßloses, bestialisches, chaotisches Wesen mit unberechenbarer Wucht zu entfalten und die Oberwelt damit zu überfluten … – Das seelische Axiom könnte so lauten:
«Ich bin voll von chaotischen, sündhaften, unvernünftigen Impulsen – nur wenn ich mich an strenge Regeln halte, kann ich mich in der Gewalt haben und ein anständiger Mensch bleiben.»
Menschen, die von diesem inneren Glaubenssatz durchströmt sind, müssen in ihrer Kindheit etwas im Übermaß durchgemacht haben, was – wenn auch nicht «naturgemäß», so doch aber «kulturgemäß» in jeder
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