Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
dialektisch strukturierte Ziel der Persönlichkeitsentwicklung gestaltet sich nun wie folgt:
Wie schon mehrfach zu beobachten, so besteht auch bei diesem Entwicklungsquadrat eine traditionell bedingte Tendenz zur Polarisierung von Frauen und Männern. Vielen Frauen fällt es leicht, ihre nicht-grandiosen Seiten frank und frei zu bekennen (was im Allgemeinen nicht nur entschuldigt, sondern wohlgelitten ist) – hingegen tun sie sich oft schwer, «ohne Wenn und Aber» zur eigenen Kompetenz zu stehen. So sagte eine Psychologiestudentin in einer gestellten Bewerbungssituation:
«… Und dann hab ich auch noch so ’n bisschen Moderation gemacht, so mit Kärtchen und Filzstiften, aber mehr so nebenbei …»
Nachfragen ergaben, dass sie mit Fug und Recht genauso hätte sagen können:
«Ein Teil meiner praktischen Erfahrungen bezieht sich auf die Leitung von Konfliktgesprächen zwischen ganzen Schulklassen und ihrem Lehrer, und zwar mithilfe moderner Moderationstechniken, für die ich eine Zusatzausbildung angefangen habe.»
Das «klingt nach etwas», und wäre noch ehrlich dazu!
Zwar sind es nach meiner Erfahrung keineswegs nur Frauen, denen eine solche Kompetenz ausstrahlende Sprache fremd ist. Wenn es bei ihnen aber eher typisch ist, dann mag das auch mit den irritierten Reaktionen der Männer auf sachlich-kompetente Frauen zusammenhängen («Sie sind viel zu gescheit und tüchtig, Frau X, dabei könnten Sie so charmant sein!»). Sollten Priscilla Aldersons Erfahrungen (in England) zutreffen, dass Männer für Frauen im beruflich-sachlichen Kontext gleichsam vier Schubladen bereithalten («Muttertier, gestrenge Oberlehrerin, Blaustrumpf und blondes Dummchen», 1987), dann wäre daraus zu folgern: Männer «kippen» offenbar im Umgang mit Frauen von der Sachebene auf die Beziehungsebene , reagieren unsachlich. Auf dieser Beziehungsebene scheinen zwei Dimensionen die Hauptrolle zu spielen: Attraktivität/Unattraktivität und Überlegenheit/Unterlegenheit. Aus der Kombination dieser beiden Dimensionen ergeben sich die oben genannten vier Typen:
Abb. 33:
Dimensionen des Erlebens von Frauen durch Männer in beruflich-sachlich geprägten Situationen (Typologie in Anlehnung an Alderson, 1987)
Eine solche unsachliche Reaktionsstruktur bringt die Frau, besonders zugespitzt in der Berufswelt, in ein schwieriges Dilemma. Mitten in ihrem Bemühen, als sachliche und mitdenkende Kooperationspartnerin ernst genommen zu werden, sieht (und fühlt) sie sich auf die Beziehungsebene abgedrängt, auf die ewig nährende Mutter oder das ewig lockende Weib reduziert. Kommt sie diesem Beziehungsangebot entgegen (und flirtet zum Beispiel ein wenig zurück), dann läuft sie Gefahr, den Männern genau jenes Wahrnehmungsfutter zu liefern, das ihre Reaktionen bestätigt. Weist sie es ab, wirkt sie «verbiestert» und wird vielleicht anerkannt (wenn sie sehr kompetent ist), aber nicht «gemocht».
Übungen
1 . Der sich Beweisende kann mit kleinen Übungen anfangen. Ein junger Informatiker berichtete, er habe nach einem Kommunikationskurs im beruflichen Umgang mit Kollegen, Vorgesetzten und Mitarbeitern immer wieder einmal Äußerungen getan, die er sich vorher nie gestattet hätte, zum Beispiel
«Das weiß ich im Moment nicht!»
«Da bin ich auch ratlos.»
«Ich gebe zu, das habe ich falsch eingeschätzt!»
«Tut mir leid, ich bin jetzt nicht mehr konzentriert genug!»
Es sei befreiend und geradezu herrlich gewesen, solche Sätze zu sagen – und die Kollegen hätten darauf überwiegend positiv reagiert, teilweise sogar mit spontaner Herzlichkeit.
Wir sind darauf gekommen, dass manche Sätze, die ein sich Beweisender wohl in seinem ganzen Leben noch nie gesagt hat, am Anfang wie Vokabeln einer Fremdsprache «auswendig gelernt» werden sollten, zum Beispiel
«Das wäre wohl vernünftig, aber ich trau mich nicht.»
«Ich bin sprachlos.»
«Dazu kann ich im Augenblick gar nichts sagen!»
«Ich mag jetzt nicht.»
«Ich bin deprimiert und weiß selbst nicht warum.»
Dies sind einige Schlüsselsätze, um der Beweisnot zu entkommen. Finden Sie heraus, welche Sätze für Sie in entsprechenden Situationen zutreffend sind – oder gewesen wären.
2 . Eine andere Übung geht etwas tiefer und ist nicht für den Alltag, sondern für die Therapie- und Selbsterfahrungsgruppe gedacht – oder auch als Experiment für Paare. Jeweils eine Person ist dran und berichtet so ehrlich wie möglich über sich und ihr Leben – und zwar nacheinander in zweifacher
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