Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Persönlichkeitsentwicklung
«Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen» – und was uns beim «Streber» überbetont erscheint, hat doch auch jenes wertvolle Moment zur Grundlage, durch das der Mensch sich vervollkommnet und befähigt, die Welt im denkenden, fühlenden und tätigen Einsatz zu meistern. Im Kontakt mit anderen die erworbene Kompetenz nicht zu unterschlagen, sondern unbefangen dort zu zeigen, wo sie gefragt oder am Platze ist, gehört zu jenen Kommunikationsfähigkeiten, die andere erst noch erlernen müssen – solche nämlich, die nur dann wohlwollende Aufnahme zu finden glauben, wenn sie ihr Licht so weit unter den Scheffel stellen, dass keiner sich mehr bedroht fühlen kann.
Die diesem Stil eigene Gefahr besteht hingegen darin, dass das Streben nach Leistung, Kompetenz und Effektivität sich von jenem Sinnbezug ablöst, der diese Tugenden mit dem Wohl der Menschen verbinden sollte: egal wofür, Hauptsache gescheit und tüchtig! Die vorzeigbare Persönlichkeit ist zum Selbstzweck geworden, genauer gesagt: Ihr Zweck ist nach innen gerichtet, dient der Linderung des seelischen Beweisnotstandes. In einer auf Wachstum ausgerichteten Gesellschaft mag diese am «Erfolg» orientierte psychische Infrastruktur willkommen sein, heilsam aber ist sie weder für das Individuum noch für die Gesellschaft.
Ich möchte bei der Angabe der Entwicklungsrichtungen zunächst Aspekte der allgemeinen Lebensführung ansprechen, um dann zur zwischenmenschlichen Kommunikation zurückzukommen.
Leistung und Be-Sinn-ung. Der oder die sich Beweisende lebt unter Leistungsdruck und in ständiger Anspannung. Anstrengung und Leistung bedürfen, um ihren konstruktiven Wert im menschlichen Dasein zu bewahren, als ausgleichendes Prinzip der be-sinn-lichen Muße sowie der geistigen und muskulären Ent-spannung. Der Beweisende muss lernen, zur Ruhe zu kommen, bloß dazusitzen, auf seinen Atem zu achten, zu meditieren – und alles, was aufkommt, einmal geschehen zu lassen (statt einzugreifen, zu erledigen, etwas zu produzieren und zu «machen»). In unseren Kursen beginnen wir manchmal eine Lerneinheit, indem wir die Teilnehmer zu folgender «Pferdekur» auffordern,
«einmal einige Zeit bloß dazusitzen und, wenn Sie mögen, die Augen zu schließen – und achten Sie auf Ihren Atem, und lassen Sie nacheinander die Muskeln entspannen … und probieren Sie einmal, die innere Haltung einzunehmen:
‹Ich muss nichts tun, nichts produzieren, keine gute Figur machen – ich muss überhaupt nichts! Ich sitze bloß da, achte auf meinen Atem, wie es ein- und ausatmet, und nehme mich so, wie ich im Augenblick bin – vielleicht unwillig oder aufgeregt, oder wohlig, oder ungeduldig – einfach so, wie es ist; ohne einzugreifen, ohne etwas zu ändern.
Und sollte sich eine Stimme in Ihnen melden, die ungeduldig sagt: ‹Mein Gott, wann geht es endlich weiter, was könnte man nicht alles schaffen und Nützliches tun in der Zeit!!› – dann nehmen Sie auch diese Stimme gelassen auf, etwa mit der Haltung: ‹Ach, da bist du ja, mein lieber alter Leistungsdruck, du alter Hetzjäger – ja, du gehörst auch zu mir, aber ich kann entscheiden, wann ich dir folgen will und wann nicht. – – Und nehmen Sie die nun folgende Stille als Gelegenheit, einmal nichts Nützliches zu tun …»
Tatsächlich berichten zuweilen geschäftige Manager, dass sie bei derlei Übungen in eine «schreckliche Nervosität» geraten: Das alte Betriebskarussell in ihnen dreht und dreht sich, seine Fangarme wollen etwas tun und greifen ins Leere, dadurch abermalige Beschleunigung im ungebremsten Leerlauf – dies sei fast schon ein Horrortrip, vergleichbar den Empfindungen in jenem Teil des Urlaubs, der nicht mit Aktivprogrammen strukturiert war: Angst, verrückt zu werden. Um dieser angstvollen Nervosität auszuweichen, geben die meisten ihrem inneren Betriebskarussell auch dann immer neuen Treibstoff, wenn sie längst darunter leiden, «nicht mehr richtig abschalten zu können». Wichtig zu wissen, dass dieser Horrortrip eine (vorübergehende) Entzugserscheinung darstellt, die dann eintritt, wenn der «Workaholic» auf sein Suchtmittel verzichtet. In modernen Seminaren zur «Menschenführung» gewinnt dieser Aspekt eine immer größere Bedeutung: Wie kann ich mich selbst führen, meine persönliche Substanz und seelische Gesundheit erhalten? Kann ich denn überhaupt meinen Mitarbeitern ein guter Vorgesetzter (oder eine gute Vorgesetzte) sein, solange ich
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