Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
wonach Entwicklung und Veränderung sich dann ereignen, wenn ich mich so akzeptiere, wie ich bin, enthält sich der Therapeut jeglicher Ratschläge, Belehrungen und sanfter Ermahnungen, sodass der Klient – ohne seine Energien übermäßig in Abwehr zu binden – sich selbst tiefer und tiefer erforschen und nach und nach auch jene Seiten akzeptieren kann, die er vorher als beschämend oder bedrohlich empfunden hat.
Dass es diese Art von therapeutischer Beziehung ist und nicht eine veränderungsorientierte Behandlung , die als Grundlage der heilsamen Entwicklung zutage getreten ist, dies will gerade dem zwanghaften Menschen nur schwer in den Kopf. In der Rolle des Beraters wird ihm zunehmend unwohl und «kribbelig» zumute, wenn er seinem Gesprächspartner nicht bald eine gute Lösung oder wenigstens einen bedeutsamen Fingerzeig bieten kann. Dass er diesem mit seinem konzentrierten Zuhören geholfen hätte, und zwar nicht trotz , sondern gerade wegen seines fehlenden «Eingreifens» – das scheint ihm die Gesetze der Welt auf den Kopf zu stellen. – Und tatsächlich läuft er mit dem nondirektiven Ansatz ein Risiko, etwa im Umgang mit seinen Kindern: Diese könnten sich zum Beispiel in eine andere Richtung entwickeln, als er dies vorgesehen hat! Dass es nicht nur einen, sondern viele Wege nach Rom gibt, ja dass manche vielleicht gar nicht nach Rom wollen – diese Erkenntnis ist ihm eine «Kröte», die er erst noch schlucken und vor allem verdauen muss.
Für uns Studenten und junge Psychologen war dieser «nondirektive Ansatz» damals (Ende der sechziger Jahre) eine große Offenbarung, und wir zögerten nicht, ihn in Lehrer- und Elternkursen 110%ig weiterzugeben. Dabei haben wir ein wenig das Kind mit dem Bade ausgeschüttet: Indem wir die Pädagogik und zwischenmenschlichen Beziehungen überhaupt um alles Direktive bereinigen wollten, trugen wir auch zu ihrer Verarmung bei. Weil wir uns selbst zum «Spiegel-Roboter» reduzierten, leisteten wir einer neuen Kontaktlosigkeit Vorschub und ließen das nondirektive Verhalten zu einer Masche verkommen. Zudem machten wir den Fehler, dieses Verhalten auch solchen, meist jungen Lehrern nahezubringen, die zur Linderung ihres Praxisschocks zunächst einmal etwas ganz anderes hätten lernen müssen, nämlich sich durchzusetzen und eine Klasse zu führen (vgl. S. 166f.). Ich habe noch jene trostlosen Rollenspiele vor Augen, in denen ein verzweifelter Lehrer, derweil seine «Schüler» mit Gejohle über Tische und Bänke gingen, seinen nondirektiven Ansatz nun wenigstens bei einem einzigen Schüler im Nahkontakt versuchte. Das Rollenspiel entsprach der Wirklichkeit, und die Verzweiflung des Lehrers und sein Gefühl von permanenter Niederlage wurde nur notdürftig durch das (von uns Trainern unterstützte) Gruppengefühl wettgemacht, zur progressiven Avantgarde zu gehören, die – im Gegensatz zu «manch anderen Kollegen» – autoritäre Mittel ablehnte. So halfen wir dabei, eine Schwäche zu kultivieren und ideologisch zu vergolden.
Aus all diesen Gedanken konstruiert sich das pädagogische Werte- und Entwicklungsquadrat in der folgenden Struktur:
In ihrer «Themenzentrierten Interaktionellen Methode» (TZI) hat Ruth Cohn (1975) das Gleichgewicht von
Struktur
und
Prozess
Planung
und
Improvisation
Intervention
und
Geschehenlassen
Verhaltensregeln
und
Ermutigung zur persönlichen Eigenart
glänzend gelöst. Bei ihr lernte ich sowohl die strukturierende Planung einer Sitzung (Themenformulierung, Verlaufsplanung – welche Übung in welcher Zusammensetzung, Wechsel von Großgruppe und Kleingruppe etc.) als auch die Ermöglichung eines spontanen Prozesses, wobei es darauf ankam, dem Raum zu geben, was im Raume war – dabei auszuhalten, dass das unplanbare Geschehen manchmal alle Planung durchkreuzte – und trotzdem (oder gerade dadurch) zu etwas führte, was die Gruppe sowohl thematisch als auch in Hinblick auf die zwischenmenschlichen Beziehungen weiterbrachte. «Zulassen statt machen!» , notierte ich mir wiederholt in mein Gruppenleiter-Rezeptbuch – und « Ich darf direktiv sein!» – denn erstens bekenne ich mich durch klare, strukturierende Anweisungen zu meiner Leiterrolle und laufe so nicht Gefahr, die Wahrheit der Situation zu vernebeln; und zweitens gilt als Meta-Regel «Sei deine eigene Chairperson!» , das heißt, entscheide du, Teilnehmer, in jedem Augenblick für dich selbst, ob du einer Instruktion folgen willst oder nicht! – Unter diesem Vorzeichen
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