Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
sich am eindrücklichsten an der Beziehung zwischen «strengen» Eltern und ihren heranwachsenden Kindern demonstrieren. Die Beziehungsbotschaft des Dauer-Appells «Mach mir keine Dummheiten!» wird als ehrenrührig empfunden und bewirkt genau das Gegenteil: Jede «Dummheit» ist nun gut genug, um zu demonstrieren, dass man ein Leben nach der eigenen Richtschnur begründen will. Hätte der ununterbrochene Redefluss aus Vorhaltungen und Ermahnungen die Tochter nicht längst zum Verstummen gebracht, hielte sie ihrem Vater (vgl. S.205ff.) vielleicht entgegen:
«Du hast mir nun mein Leben lang mit Rat und Tat zur Seite gestanden – ich danke dir dafür, und es wird vielleicht Momente geben, wo ich darauf wieder zurückgreifen werde. Jetzt kommt für mich die Zeit, wo ich mehr und mehr ausprobieren möchte, nach eigener Richtschnur zu leben und meinen Weg zu finden, der anders sein wird, als deiner war. Manches wird dir nicht gefallen, was ich tue. Und manches wird mir vielleicht selbst nicht gefallen, aber Irrtümer und Fehler sind Meilensteine auf dem Weg zur eigenen Urteilsfähigkeit – bitte versuche nicht mit Zwang, mir diese Steine aus dem Weg zu räumen. Und bitte, sei nicht gleich eingeschnappt, wenn ich deine Lebensweise zum Teil spießig, eng und eingefahren finde – das heißt ja nicht, dass ich dich nicht gern habe. Aber dieses ‹Gernhaben› kann ich dir in diesen Zeiten nicht so deutlich zeigen – das musst du verstehen: Wer sich losmachen und Abstand gewinnen will, kann solche lieben Gefühle dazu nicht gut gebrauchen; mit ein wenig Verachtung geht das leichter. Und außerdem: In dem Maße, wie du mir deine Vorstellungen aufdrücken willst, damit ich nicht, wie du dich ausdrückst, ‹in der Gosse lande› (vielen Dank für das Kompliment, du scheinst deiner Tochter wenig Widerstandskraft gegen die Anfechtungen der Welt zuzutrauen!), in dem Maße bleibt einem das ‹Gernhaben› auch wirklich im Halse stecken – und das gilt auch für deine tausend Kleinigkeiten und Kleinlichkeiten, mit denen du mich pedantisch verfolgst: Wasserhahn, Lampen, Zahnpastatube, Radio, Telefon – als ob es darum wirklich ginge!»
Stattdessen kommt diese Botschaft eher in Form einer «genervten» Gereiztheit herüber, verbunden mit taktierenden Kunstgriffen im Umgang mit der elterlichen Macht. Es entsteht der typische Teufelskreis, dass die Eltern sich angesichts der zunehmenden Missachtung ihrer Anweisungen genötigt sehen, die Kontrolle grimmig zu verschärfen, um wenigstens dem Schlimmsten «einen Riegel vorzuschieben». – Die Kinder reagieren, indem sie ihre Ausbruchsenergie steigern und dabei pfiffiger vorgehen; sie geraten in eine feindselige Stimmung gegen die «Wächter» und sind immer weniger bereit, sie noch in irgendeiner Weise an ihrem Leben teilhaben zu lassen:
Die «dicke Luft», die dieser Teufelskreis produziert, hat zwar den Vorteil, dass sie es beiden Parteien erleichtert, die anstehende Loslösung emotional zu vollziehen (und darin liegt vielleicht der heimliche Sinn); gleichwohl kann auch hier, wie so oft, die «Lösung» in ihren seelischen Folgekosten schlimmer werden, als es das «Problem» je gewesen ist.
6.3
Richtungen der Persönlichkeitsentwicklung
In vielen beruflichen Bereichen ist der bestimmende-kontrollierende Stil gefragt, besonders auf der Führungsebene. Um das komplexe Miteinander in Systemen und Institutionen aller Art koordinierend zu gestalten, bedarf es gewisser «Führungsqualitäten»: Mit Übersicht und Planung müssen ordnungsstiftende Strukturen gesetzt und durchgesetzt werden; klare Weisungen müssen erteilt und ihre Durchführung kontrolliert werden. Die Ausgestaltung dieser Führungsaufgaben unterliegt in Abhängigkeit von historischen und sachstrukturellen Gegebenheiten einem starken Wandel. So ist der autoritäre Haudegen heute weniger gefragt als der partnerschaftliche Moderator – die Erfahrungen von Machtmissbrauch und Unmündigkeit haben teilweise zu einem neuen Verständnis von der Beziehung von Führern und Geführten beigetragen. Diese Erfahrungen waren es auch, die – insbesondere in Deutschland – bei der jüngeren Generation zu einer verständlichen, teilweise aber übertriebenen Scheu geführt haben, auch einmal zu lenken und zu leiten, um ja nicht autoritär zu erscheinen, den anderen einzuengen und zu unterdrücken. Sosehr diese Haltung als Sensibilität zu begrüßen ist, so kann es doch in bestimmten Situationen zur Diffusität des Miteinanders
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