Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Wertequadrat bringt die Tugend der Selbstkontrolle in jenen dialektischen Zusammenhang, den diese therapeutischen Erkenntnisse nahelegen:
Zunehmende Offenheit gegenüber der Innen-Erfahrung ist gleichzeitig die seelische Voraussetzung für einen veränderten Kommunikationsstil . Ich spreche hier von einer Entwicklungsrichtung, die von der normativen zur Ebene der persönlichen Wünsche wechselt und für das Miteinander besonders im privaten Bereich eine fast «kopernikanische Wende» bedeuten kann. Statt
– «Man sollte nicht …» nun zu sagen: «Ich möchte nicht, dass du … weil ich»,
oder statt
– «Das macht man so und so» nun «Mir liegt daran, dass du es so und so machst, weil ich …»
das ist weit mehr als ein Unterschied in der Formulierung. In innerbetrieblichen Konfliktgesprächen lautet einer der häufigsten Satzanfänge «Sie sollten …» (und man weiß dann schon, dass das Gespräch nicht gut verlaufen wird). Stattdessen jedes Mal zu sagen «Ich habe eine Bitte an Sie, und zwar …» würde für den Bestimmenden eine große Überwindung bedeuten, denn so kann er seine Ansprüche nicht mehr im Namen einer höheren Macht, im Namen der Vernunft oder der allgemeinen Moral anmelden, sondern muss im eigenen Namen sprechen . Das bedeutet vom hohen Ross des Normenverkünders herabzusteigen und sich zu eigenen Bedürfnissen zu bekennen – mit dem Risiko, Widerspruch oder Ablehnung zu erfahren, sich einer Auseinandersetzung stellen zu müssen; gleichzeitig bietet es aber die Chance, eine ganz andere Art von Kontakt zu erleben als den, den man durch Bevormundung und Belehrung herzustellen gewohnt ist. Auch der Streit gewinnt eine neue Qualität: Plötzlich ist es nicht mehr die Frage, wer Recht hat (zum Beispiel ob die Tür auf oder zu «gehört», ob diese oder jene Musik «passender» ist, ob das Geld «besser» für einen Urlaub oder für eine Ausbildung verwandt wird – usw.) –, sondern die Frage: Was liegt mir und was liegt dir so viel daran , dass die Sache so und so gemacht wird – in dem Bewusstsein, dass Bedürfnisse sich jeder Klassifikation in mehr oder weniger wertvoll, in angemessen und abwegig entziehen. Das bedeutet nicht, dass jedes Bedürfnis in einer gegebenen Situation das gleiche Gewicht hätte – die Gewichtigkeit ist im Gespräch zu erkunden («Ich möchte mal sagen, warum mir so viel daran liegt …»).
7.
Der sich distanzierende Stil
7.1
Erscheinungsbild, Grundbotschaft und seelischer Hintergrund
Wenn wir von der distanzierenden Strömung erfasst sind, dürfen uns die Mitmenschen nicht zu nahe kommen. Die Grenzen des eigenen Hoheitsgebietes sind vorverlegt, eine unsichtbare Wand sorgt dafür, dass der gebührende Abstand erhalten bleibt. Dies ist zunächst schon rein räumlich und körperlich gemeint: Eine Scheu, wenn nicht Abscheu, vor Berührung sorgt für den gewünschten «Sicherheitsabstand», den zum Beispiel Schreib- und Konferenztische, sperrige Vorzimmer und die Bevorzugung des Schriftverkehrs gewährleisten. Dasselbe gilt auch seelisch: Im direkten Kontakt ist es Aufgabe des Kommunikationsstils, Distanz herzustellen. Die förmliche und unpersönliche Art des sich Distanzierenden «schafft um ihn herum eine Luftschicht und Ausstrahlung von Kühle, in welcher, beinahe zu seinem Bedauern, treuherzige Anträge der Freundschaft und Cameraderie, sie wissen nicht wie, sich verfangen und steckenbleiben», wie es bei Thomas Mann im «Felix Krull» (1954, S.262) heißt. Leicht werden die sich Distanzierenden als arrogant und abweisend wahrgenommen, beim Gegenüber entsteht der Eindruck, «man kommt schwer heran an sie» oder «man wird nicht recht warm mit ihnen». Selbst Menschen ohne empfindliches Beziehungs-Ohr geben sie das Gefühl, nicht recht gemocht zu werden – was keineswegs zutreffen muss, denn die sich distanzierende Strömung kann sich gerade bei aufkommender Sympathie noch verstärken.
Die Sprechweise des Distanzierten steht also im Dienste des Abstandhaltens; überwiegend spricht er aus dem «Erwachsenen-Ich» und ähnelt in der Typologie V. Satirs dem «Rationalisierer», der nichts an sich herankommen lässt und alles mit Verstand und Vernünftelei zu bewältigen sucht:
Abb. 36
Grundpose des sich distanzierenden Stils
Die Grundbotschaft hat eine starke Ausprägung auf der Sach-Seite und eine schwache auf der Beziehungsseite (es sei denn, jemand rückt ihm zu nahe «auf die Pelle» – dann kann er sehr ungemütlich, «muffig» oder aggressiv
Weitere Kostenlose Bücher