Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
werden und seinem Gegenüber vermitteln, wie lästig seine «klebrige Anhänglichkeit» sei). Die Selbstkundgabe ist ebenfalls schwach ausgeprägt, er gibt sich verschlossen. Deutlich hingegen der allwährende Appell «Komm mir nicht zu nahe!» – s. Abb. 37, S.230.
Die ausgeprägte Orientierung auf die sachlichen Aspekte des Gespräches sei an folgendem Beispiel demonstriert:
Der (distanzierte) Ehemann kommt nach Hause, seine Frau berichtet ihm voller Sorgen:
Frau: Stell dir vor, Rüdiger hat wieder eine Fünf geschrieben!
Mann: In welchem Fach?
Frau: In Englisch – und dabei hatte er so geübt! Vorhin saß er auf seinem Bett und heulte und …
Mann: Wie ist die Arbeit insgesamt ausgefallen?
Frau: Du, das weiß ich nicht! Auf jeden Fall ist er völlig verzweifelt.
Mann: Nun ja – handelt es sich denn um ein wiederholtes Versagen oder ist es ein erstmaliger Ausrutscher?
Frau: Eine Fünf hatte er bisher, soviel ich weiß, noch nicht, aber Sorgen mache ich mir schon.
Mann: Zunächst einmal muss überprüft werden, ob überhaupt Anlass für Verzweiflung und Sorgen besteht. Und dazu ist es nötig, einmal die genaue Sachlage zu ermitteln.
Frau: Für dich zählen aber immer nur die Fakten! Willst du nicht mal hochgehen, ihn zu trösten?
Mann: Äh, man lässt ihn jetzt besser allein. Nachher kann man dann in aller Ruhe eine geeignete Problemlösung …
Frau: In aller Ruhe!! Ich bin aufgebracht, hörst du?!
Mann: Eben, und so kommen wir ja nicht weiter. (Zieht sich zurück)
Während der Mann insgeheim die «mangelnde Sachlichkeit» seiner Frau «mit Bedauern registriert» (wie er sich vielleicht ausdrücken würde), beklagt die Frau sein geringes Einfühlungsvermögen und den Mangel an gefühlsmäßigem Austausch («Du bist hier nicht mehr in deiner Bank!»). Tatsächlich wahrt die distanzierte Sprache nicht nur den Sicherheitsabstand zu seinen Mitmenschen, sondern auch zu sich selbst. Genauer gesagt: zu jenen Bezirken seiner Seele, in denen er seine Gefühle gleichsam hinter Schloss und Riegel hält. Die auf Gefühlsersparnis abzielende Sprache ist gekennzeichnet durch Substantivierungen, Generalisierungen und Abstraktionen sowie durch Vermeidung des Wortes «Ich»:
Nicht: «Ich werde ganz ratlos, wenn ich sehe, wie Rüdiger sich abquält»,
sondern eher: «Es ist auch für Eltern nicht immer ganz einfach, wenn Kinder in der Schule mit Problemen konfrontiert sind.»
Nicht: «Ich war enttäuscht»,
sondern allenfalls: «Da war sicher ein gewisses Bedauern auf meiner Seite vorhanden.»
Insgesamt sind die Formulierungen so gewählt, die eigene Betroffenheit herunterzuspielen:
Nicht: «Es kränkt mich, wenn ich sehe, dass der Chef alles mit Müller bespricht und mich links liegenlässt»,
sondern: «Man wundert sich manchmal ein bisschen, nach welchen Gesichtspunkten der Chef sich seine Gesprächspartner aussucht.»
Zwar macht der Distanzierte nach außen hin den Eindruck, als ob er wenig berührbar wäre, keine Gefühle hätte – ein Mensch mit großem Kopf und einem Herzen aus Stein. Da wir aber inzwischen darin geübt sind, die Außenseite des Verhaltens immer auch als kompensatorisch, das heißt als Maßnahme zur Bewältigung innerer Angelegenheiten zu verstehen, können wir vermuten, dass der Distanzierte «im Grunde seiner Seele» eine reiche, aber auch allzu verletzbare und daher schutzbedürftige Gefühlswelt in sich trägt. Wenn die distanzierende Strömung in einem Menschen so vorherrschend geworden ist, dass er sich – auch wenn er möchte – nicht mehr anders geben kann, sind vermutlich prägende Erfahrungen mit zwischenmenschlicher Nähe die Ursache hierfür.
Abb. 37:
Grundbotschaft des sich distanzierenden Stils
Was mag da passiert sein?
Zunächst einmal fällt auf, dass dieses Kontaktmuster in unserer Gesellschaft eher für Männer typisch ist. Dies ist ja auch ganz im Einklang mit der traditionellen und noch vorherrschenden Arbeitsteilung der Geschlechter: Die Berufswelt des Mannes verlangt im zwischenmenschlichen Umgangsstil in der Regel rollenmäßige Distanz – man hat einander nicht ausgesucht, muss aber miteinander auskommen, man vertritt sich nicht selbst, sondern seinen Auftraggeber; übergeordnete Interessen und aufgabenbezogene Kontakte lassen es dienlich erscheinen, wenn das Persönlich-Allzu-Persönliche «draußen vor» bleibt, und Gefühle kann man sich, wie viele versichern, in der harten Geschäftswelt schon gar nicht leisten. Auf der anderen Seite steht und fällt die
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