Miteinander reden von A bis Z
(weniger bedrohliche) Stelle verschoben wird. Beispielsweise wenn sich eine Abteilung nicht mit den Differenzen innerhalb der eigenen Gruppe auseinandersetzt, sondern alle Aggression und Feindschaft gegen die Nachbarabteilung richtet. Die Abteilung hat sich dann einen Außenfeind gesucht und kann auf diese Weise die Auseinandersetzung innerhalb der eigenen Abteilung (zumindest eine Zeit lang) vermeiden und umgehen. Mit Hilfe dieses Außenfeindes lässt sich das gefährdete Zusammengehörigkeitsgefühl retten. So kann beispielsweise auch der gemeinsame Zwist gegen den Nachbarn die Eheleute einen.
Eine andere Art der Konfliktverlagerung ist die Suche nach einem Sündenbock innerhalb des Systems (der Abteilung, der Familie, etc.). Um das Zusammengehörigkeitsgefühl zu erhalten, würde die Abteilung in diesem Fall ihre Konfliktenergie auf eine Person innerhalb der Abteilung richten («Nur weil Kollege Hermann so unfähig ist, haben wir immer wieder den Schlamassel. Ohne Hermann könnte alles so schön sein!»). Wie beim Außenfeind wird die Konfliktenergie verlagert und eine Auseinandersetzung mit möglicherweise brisanten Themen «erfolgreich» vermieden.
Eine dritte Art der Konfliktverlagerung ist die Aggression gegen sich selbst . Die Konfliktenergie wird auch hier nicht an den eigentlichen Konfliktpartner adressiert, sondern richtet sich gegen die Person selbst (z.B. «Ich bin ja selbst schuld, wenn ich wieder an der Wand stehe und nichts gebacken kriege!»). Solche Selbstaggressionen ersparen einem zwar den Kampf mit dem Gegenüber, können aber depressive Entwicklungen nach sich ziehen. Psychotherapeuten wissen: Hinter einer Depression verbergen sich oft unausgetragene Konflikte, ist manche nicht ausgedrückte Wut (gegen jemand anderen) verschüttet und muss erst noch freigelegt werden.
Eine vierte Variante der Konfliktverschiebung besteht darin, dass zwei Konfliktpartner nicht das eigentliche Thema zu fassen kriegen (wollen). Dies ist immer dann der Fall, wenn es um «Kleinigkeiten» geht, der Streit aber vehemente und/oder zähe Formen annimmt, die in keinem stimmigen Verhältnis zum Konfliktanlass stehen. Die Beteiligten fechten dann ein Pseudoscharmützel aus und streiten über die falschen – oft weniger heiklen – Themen.
Kränkung
Wenn jemand durch Worte oder Taten eines anderen in seinem Selbstwertgefühl verletzt wird, sprechen wir von einer Kränkung. Es scheint, als habe der moderne Mensch die drei klassischen Kränkungen der Menschheit ganz gut überwunden. Das waren erstens, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Kosmos ist (Kopernikus), sondern dass wir als Staubkorn des Universums im Irgendwo herumkreisen. Zweitens, dass der Mensch «vom Affen abstammt»: dass er nicht direkt als Ebenbild Gottes genuin geschaffen wurde, sondern wie jedes Tier eine animalische Ahnenreihe hat (Darwin). Drittens, dass er nicht einmal «Herr im eigenen Haus» ist, sondern teilweise unbewussten Antrieben unterliegt, die keineswegs alle das zivilisatorische und humanistische Gütesiegel in sich tragen (Freud).
Ganz anders verhält es sich jedoch mit den Kränkungen, die uns ganz persönlich treffen: Äußerungen oder Handlungen, die unseren Wert, unsere Würde, unsere Ehre in Frage stellen. Ich werde nicht eingeladen, öffentlich zur Schnecke gemacht, aus dem Job entlassen, von einem Freund verraten oder von einem Beziehungspartner verlassen … Der Stachel solcher Verletzungen ist lang und spitz geblieben.
Schon harmlose Bemerkungen können schwere Kränkungen auslösen, wenn wir unversehens in ein «Fettnäpfchen» getreten sind, d.h. einen wunden Punkt beim anderen berührt haben. Man spricht auch von «narzisstischen Kränkungen» ( → Narzissmus ), weil jemand, der von einer starken und permanenten Sorge um seinen Selbstwert erfasst ist, besonders «kränkbar» ist und mit einem hochempfindlichen Beziehungsohr ( → Vier Ohren ) hört.
Schulz von Thun schlägt hypothetisch eine «Kränkungsformel» vor, die das Ausmaß der Kränkung K abhängig macht von vier Faktoren:
Das «Kaliber» (Ka): Eine Äußerung wie «Sie sind doch ein Totalversager!» hat ein größeres Kaliber als «Bei Ihnen bin ich mir nicht ganz sicher, ob Sie das hinkriegen.»
Die «Empfindlichkeitstiefe» (Et): Je nachdem, ob ich an der Stelle einen wunden Punkt habe, bin ich «tief getroffen» oder nur oberflächlich tangiert. Der kränkende «Täter» ist nur ein «Auslöser», die Kränkung immer eine Koproduktion von Sender
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