Mithgar 12 - Der schwaerzeste Tag
von Historikern und Schriftgelehrten, und ihr großes Werk bestand darin, illustrierte Ausgaben von Tucks Heldengeschichte herzustellen. Sie hatten sogar schon ein prachtvolles Exemplar des Buches an den Hochkönig in Pellar geschickt, und dieser war voll des Lobes gewesen. Rasch verflogen die Jahre, und Tuck und Merrili alterten in Würde. Ein Teil von Tucks Bau wurde zum Museum, es beherbergte Merrilis Bogen, Seile und Umhänge der Elfen, die silberne Rüstung und das Langmesser, ebenso Patreis goldene Rüstung und die Klinge aus Atalar… und das Reichshorn, das noch immer regelmäßig am 9. November in Waldsenken und am 15. Januar in Lammdorf geblasen wurde. Helme und Hosen, Pfeile und Köcher, Fahnen und Stangen und noch mehr Waffen, Rüstungen und militärisches Zubehör bedeckten die Wände und ruhten in Glasvitrinen, und die Leute kamen von weit her, um sich alles anzusehen.
Tuck war zufrieden, er führte ein höchst geruhsames Dasein - nur manchmal schreckte er in kalten Schweiß gebadet aus einem Angsttraum. Dann riss er die blinden Augen weit auf und sah noch einmal das scheußliche Ungeheuer Gyphon in den Schwarzen Abgrund jenseits der Sphären stürzen. Merrili hielt ihn nach solchen Träumen immer in den Armen, bis die Phantome der Vergangenheit vertrieben waren. Im Jahr 5E46 kam die Nachricht vom Tod König Galens; er war während eines heftigen Sturms gestorben, der von der Avagonsee an die Mauern von Caer Pendwyr donnerte. Gareth, der älteste Sohn von Galen und Laurelin, war nun Hochkönig. Tuck und Merrili unternahmen die weite Reise nach Pellar und blieben eine Weile bei Laurelin, die noch immer schön war, obwohl sie bald ihren fünfundsechzigsten Geburtstag feiern würde. Und auch wenn der Winterkrieg vor fast fünf Dekaden geendet hatte, raunte man noch immer überall im Schloss von diesem winzigen, hinkenden Besucher: Tuck Sunderbank, der blinde Bokker mit den Peitschennarben im Gesicht, der Modru getötet und Mithgar gerettet hatte.
Zu Ende des Sommers kehrten Tuck und Merrili in die Sieben Täler zurück. Und von einem gelegentlichen Ausflug nach Steinhöhen abgesehen, war die Zeit ihrer langen Reisen damit vorüber.
Es heißt, nach Galens Ableben hätten Talarin, Rael und Gildor den Dämmerritt nach Adonar unternommen. Es heißt, keiner der drei habe sich je ganz von Vanidor Silberzweigs Tod erholt - vor allem Gildor nicht, in dessen Augen immer ein Ausdruck von tiefer Trauer stand.
Es heißt auch, dass viele weitere Lian nach Adonar hinüberwechselten, denn in ihren Herzen sei lange Zeit große Trauer um die im Krieg Getöteten gewesen. Doch ob diese Geschichten der Wahrheit entsprechen, ist nicht bekannt. Im Winter des Jahres 5E73, am 17. Dezember, um genau zu sein, legte sich Tuck mit einer Erkältung ins Bett. Aus Tagen wurde eine Woche und schließlich eine zweite, und ungeachtet aller Gegenmaßnahmen verschlimmerte sich die Krankheit zusehends. Tuck war zu diesem Zeitpunkt siebenundneunzig, und von allen Sterblichen, die an jenem heroischen Tag im Eisernen Turm dabei gewesen waren, lebten außer ihm nur noch Merrili und Brega in den fernen Roten Bergen. Patrel, Igon, Laurelin, Ubrik - sie alle waren tot. Einer nach dem anderen war über die dunkle See unter den silbernen Sonnen gesegelt, zu Vidron, Manor, Reggian, Arbagon, Bockelmann, Dorn und zahllosen anderen. Und trotz aller Kräuter des Heilers, trotz Merrilis fürsorglicher Pflege flackerte Tucks Lebenslicht nun an diesem Jahresendtag nur noch schwach, und seine Seele wurde unwiderstehlich fortgezogen. Und auch wenn Merrili die Hand ihres Bokkers festhielt, spürte sie, wie ihr die silberne Schnur seines Lebens langsam aus den kraftlosen Fingern glitt.
Während sie Tucks teure Hand hielt, sah sie jedoch keinen zerbrechlichen, alten Wurrling vor sich. Vielmehr blickte sie hinter die bleiche, durchscheinende Oberfläche und das schneeweiße Haar, und sie sah den hübschen jungen Bokker vor sich, in den sie sich damals verliebt hatte.
Und sie weinte, denn sie wusste, sie konnte der Hand des Schnitters nicht Einhalt gebieten.
Das Geräusch von Tucks dünnem Atem erfüllte den Raum, der leise Klang des Todes, doch hin und wieder murmelte er auch ein paar Worte - manche davon in der alten Wurrlingssprache.
Und als es auf Mitternacht zuging und Merrili den müden Kopf ins Kissen sinken ließ und bittere Tränen weinte, da fühlte sie, wie ihr Tuck übers Haar strich. »Weine nicht, meine Merrili«, flüsterte er. »Ich werde auf
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