Mithgar 12 - Der schwaerzeste Tag
bildete keine Ausnahme.
Doch das Winterfest Jul feierte man besonders prächtig - trotz des Schneesturmes, der in weiten Teilen des Nordens wütete, und des Eisregens im Süden von Mithgar. Denn es sollte ein ganz besonderes Julfest werden: Der Hochkönig hatte verfügt, dass Modrus Sturz das Ende der Vierten Epoche markierte und somit am folgenden Neujahrstag die Fünfte begann. Und überall frohlockte das Freie Volk.
Am 15. Januar 5E1 wurde in Lammdorf ein Denkmal enthüllt, das an den Beginn der Kämpfe in den Sieben Tälern erinnerte.
Es stand auf einer kleinen Anhöhe nördlich des Weilers und trug die Namen der neunzehn Wurrlinge, die in der Schlacht von Lammdorf gefallen waren. Außerdem hatte man Merrili Holts Worte in den Stein gemeißelt: Lasst uns heute ein für alle Mal klarstellen, dass an diesem Tag der Kampf begonnen und das Böse einen gleichwertigen Gegner gefunden hat.
Die Dorngängerin war zusammen mit Tuck anwesend, und sie hielt anlässlich der Enthüllung des Monuments eine Rede.
Hauptmann Patrel war den ganzen Weg von Mittwald heraufgekommen, er blies auf seinem Silberhorn, und die versammelten Wurrlinge ließen begeisterte Jubelrufe ertönen.
Bevor sich Patrel eine Woche später von Waldsenken auf den Heimweg machte, übergab er Tuck das Horn des Reiches zur Aufbewahrung. »Heb es für mich auf, alter Freund«, sagte er, »und blas es mindestens zweimal im Jahr: am 9. November, denn das war der Tag, an dem wir beide, Hob, Tarpi und Danner von hier zu dem Feldzug aufgebrochen sind, der mit Modrus Sturz endete. Und blas es am 15. Januar, dem Tag, an dem die Kämpfe in den Sieben Tälern begannen. Ich sehe, du willst widersprechen, aber bedenke Folgendes: Es könnte einmal sein, dass die Witterung keine Reise zulässt, ich möchte aber, dass das Horn trotzdem hier geblasen wird.«
Patrel wandte sich nun an Merrili, die ihn umarmte und ihm einen Kuss auf die Wange gab. »Ich glaube, ich hab’s dir nie gesagt, Merrili, aber du warst ohne Frage einer der besten Krieger in den Sieben Tälern oder anderswo, und doch bist du die gütigste Seele, die ich kenne.«
Mit diesen Worten trat Patrel aus der beschlagenen Eichentür von Tucks Bau, stieg auf sein Pony und machte sich auf die weite Heimreise.
Am 22. Februar fand in den Sieben Tälern ein allgemeiner Festtag statt, denn an diesem Tag war der Dusterschlund zusammengebrochen, und mit ihm hatte der Winterkrieg geendet. In einem feierlichen Ritual, das er von nun an bis an sein Lebensende jährlich an diesem Tag vollführen sollte, wurde der blinde Tuck von Merrili zu den Bachsteinen hinabgeführt, wo er eine Blume auf den großen Bachstein in der Mitte legte. Und am Ufer standen Hanlo und Gloria Brombeerdorn und beobachteten Tucks stille Zeremonie, denn an diesem Tag war ihr Sohn Danner gestorben.
Am 12. Oktober 5E2 wurde Merrili Sunderbank von einem winzigen Mädchen entbunden. Schwarz war sein Haar, schwarz wie die Nacht, und als man Tuck das mitteilte, nannte er das Kind Rabe.
Und in der Einäugigen Krähe wurde bis in den Morgen hinein gefeiert. Im Laufe der folgenden Jahre kam eine schleichende Veränderung über Tuck, und er schien sich ganz langsam und allmählich aus der Welt zurückzuziehen. Er war nicht direkt verbittert über seine Blindheit, aber er schien sich irgendwie nutzlos vorzukommen. Nur wenn er mit Rabe spielte, wirkte er glücklich. Aber selbst bei diesen Gelegenheiten schien er bisweilen niedergeschlagen zu sein, denn er konnte sein eigenes Kind nicht sehen.
Und Merrili schrieb heimlich, ohne Tuck etwas davon zu sagen, einen Brief an König Galen.
Drei Monate später traf ein Kurier in den Sieben Tälern ein, der ein Schreiben an Herrn Tuck Sunderbank überbrachte.
Mit zitternden Händen nahm Merrili den Brief entgegen, brach das kunstvoll gearbeitete Wachssiegel auf und entrollte das knisternde Pergament. Dann holte sie tief Luft und las Tuck das Schreiben vor: Herrn Tuck Sunderbank Waldsenken, Sieben Täler Mein lieber, hoch verehrter Waerling:
Ich habe in letzter Zeit viel an Euch gedacht. Immer wieder kehren meine Gedanken zu der langen, anstrengenden Reise zurück, die wir beide über das Antlitz Mithgars unternommen haben. Und noch immer sehe ich Euch vor mir, wie Ihr im Schein unserer Lagerfeuer in Euer Tagebuch schreibt.
Wegen dieses Tagebuchs wende ich mich heute an Euch, denn es enthält die Geschichte des Winterkriegs - wenigstens einen Teil davon. Es ist eine Geschichte, die aufgezeichnet werden
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