Mithgar 13 - Zwergenzorn
nächsten vierzehn Tagen der Reise jede wache Stunde beherrschen. Was nicht heißen soll, dass die Reisenden über nichts anderes redeten und nichts anderes taten, denn sie sangen Lieder und erzählten Geschichten, aber nur, wenn eine Lektion vorbei war.
Beim vierten oder fünften Halt des Tages – nachdem Perry und Zwirn sich in den Lektionen zuvor einige Grundlagen über Streiche, Stöße und Paraden angeeignet hatten – stellte sich Fürst Kian wieder zu einem Übungskampf. Obwohl er auch diesmal nicht getroffen wurde, hatte er es doch mit beiden weitaus schwerer, denn Wurrlinge lernen schnell. Sie sind sehr behände und manchmal hatte Fürst Kian tatsächlich Mühe, sich ihrer raschen Hiebe zu erwehren. Zwar hätte er beide Bokker nach Belieben töten können, aber der Mensch war dennoch sehr zufrieden mit ihren raschen Fortschritten. Wiederum lachten und johlten die Wurrlinge am Ende der Übung. Jeder war erfreut darüber, dass sein Geschick wuchs, und konnte erkennen, dass auch der andere Fortschritte machte. Aber am meisten entzückte sie, dass sie Fürst Kians Deckung zwar nicht ganz, aber doch beinah überwunden hätten.
»Also gut, meine Herren Prahlhänse«, versprach der Mensch über ihre fröhliche Aufschneiderei hinweg, während er die Haare mit einem grünen Band zusammenfasste, »beim nächsten Halt greife ich Euch an, damit auch Eure Abwehr geschult wird.
Hört jetzt gut zu. Wenn ein Gegner Euch mit einem Überhandschlag angreift, könnt Ihr zur Seite treten und den Hieb an Eurer eigenen Klinge abgleiten lassen, indem Ihr…« Auf der Ladefläche des rollenden Wagens wurde der Unterricht unablässig für die vielleicht zehn Stunden fortgesetzt, die sie jeden Tag auf der Straße verbrachten. In diesen zehn Stunden übten Zwirn und Perry ungefähr zehn Minuten mit dem Schwert und setzten das theoretisch Erlernte in die Praxis um. Wenngleich manche gesagt hätten, dass nicht genug Zeit bliebe, um aus den Wurrlingen ausreichend geschickte Kämpfer zu machen, ließ wie zu anderen Zeiten und an anderen Orten die Gefahr des Krieges keine andere Wahl.
In der ersten Nacht nach Steinhöhen lagerten die Reisenden im Wald nördlich der Moorsenke, doch die lästigen Stechmücken dieser Region stellten kein Problem mehr dar, denn die Nächte waren mittlerweile zu kalt.
Am nächsten Tag fuhren die fünf weiter, und am Abend des sechsten Tages der Reise von Waldsenken lagerten sie an den Westhängen des Beacontor, einem verwitterten Berg am Südende der uralten Signalberge. Dieses Gebirge war im Laufe der Äonen von Wind und Wasser so stark abgetragen worden, dass es eigentlich nur noch eine Hügelkette war. Auf dem Beacontor hatte der Erste Wachturm gestanden, jetzt nur noch ein Überbleibsel einer vergangenen Ära. Die Ruinen waren noch immer auf der Hügelkuppe zu sehen. Der zerklüftete Ring umgestürzter Steinbrocken stand immer noch Wache in der Wildnis zwischen Steinhöhen und Arden. Weder Perry noch Zwirn oder sonst jemand aus der Gesellschaft kletterte empor, um sich die Überreste anzusehen. Vielmehr machten die Wurrlinge das Beste aus ihrer letzten kurzen Übungssitzung und halfen dann bei der Errichtung des Lagers. Mittlerweile war es dunkel, also hätten sie ohnehin nur wenig von den Ruinen gesehen. Wie zuvor hielten sie in der Nacht abwechselnd Wache.
Es war mitten in der Nacht, als Borin Perry für dessen Wache weckte. Der Himmel war sternenklar und die Luft so frisch, dass der Helle Schleier zum Greifen nah schien, wie er sich als schimmerndes Band von Osten nach Westen über den mit Sternen bedeckten Himmel zog. Perry fiel auf, dass es Borin widerstrebte, sich hinzulegen. Er zog es stattdessen vor, voller Staunen auf das Glitzern und Funkeln am Himmelszelt zu starren. »Der Himmel scheint Euch zu verzaubern, Borin«, sagte Perry.
»Wir Châkka kommen nicht oft aus den Bergen hervor und sehen die Sterne, Freund Perry«, erwiderte Borin. »Sie sind etwas Besonderes für uns: strahlender als die funkelndsten Diamanten, die wir ausgraben, kostbarer als alles, was wir je ausgegraben haben und noch ausgraben werden. Sie sind himmlische Juwelen, die durch die Nacht über uns kreisen – unwandelbar, ewig, bis auf die fünf bekannten Wanderer, die sich in Relation zu den anderen langsam bewegen. Aber selbst diese Nomaden wiederholen im Laufe der Äonen immer wieder denselben Weg. Aye, die Sterne schenken uns ihr Licht, an dem wir uns orientieren können – der dort drüben steht für alle
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