Mithgar 16 - Drachenmacht
»Ihr müsst gerade reden, Elf, denn Ihr sucht doch den Tod eines anderen. Und aus welchen Gründen? Aus Rache!«
»Das streite ich nicht ab, Lord Hanor. Aber in vielerlei Hinsicht ist Rache das reinste Motiv von allen. Dabei wird hier Vergeltung für eine ungerechte Tat geübt, die geschehen ist, und letzten Endes besteht der Antrieb für Eure Handlung aus eigenen, von Menschen gemachten Gesetzen.«
Lord Leith hob die Hände, als wollte er zwischen den Elf und den Menschen treten. »Lasst gut sein, Ihr Lords. Aber so viel will ich sagen: Lord Aravan, Eure Argumente sind gehört worden … aber was die Annahme angeht, dass wir nur vermuten, was in der Zukunft geschehen könnte: Wer weiß schon genau, welche schändlichen Taten noch ans Licht der Welt kommen werden? Wenn wir das wüssten, dann könnten wir sie verhindern, aber leider vermögen wir das nicht.«
Lord Hanor knirschte mit den Zähnen. »Ich bin fest davon überzeugt, dass der Sultan von Hyree …«
»Hanor, ich sagte, lasst es gut sein!«, fuhr Leith ihn an.
Hanor verstummte, aber es fiel ihm offenkundig schwer.
Eine unbehagliches Schweigen breitete sich aus, doch dann stand der Verwalter auf, trat zu Faeril und nahm die winzige Hand der Damman in die seine. »Mistress, es stimmt mich zutiefst traurig, von Eurem Verlust zu hören. Aber wisset: Euer Herr Gwylly war ein Held, und die Welt ist ein ärmerer Ort ohne ihn.«
Faerils Augen schwammen in Tränen, als sich Lord Leith herunterbeugte und ihre Hand küsste. Auf seine Worte jedoch wusste sie nichts zu antworten.
Drei Tage später verließen Faeril, Aravan, Riatha und Urus Caer Pendwyr und ritten nach Norden, zurück nach Hause. Sie hatten sechs Pferde dabei, vier Reittiere und zwei Packpferde.
Sie ritten die Glave-Hügel hinauf und erreichten den Großwald. Urus führte sie an und zog Faerils Pferd an einem Strick hinter sich her. Hinter ihnen folgten Riatha und Aravan, jeder mit einem Packpferd im Schlepptau.
Es war Frühling, das Leben sprießte, Blüten öffneten sich, hellgrüne Blätter wuchsen an den Bäumen, das gelbe Gras wurde grün, und überall brachen Blumen aus der Erde. Faeril stellte fest, dass sie fast vergessen hatte, wie grün das Reich des Hochkönigs war, denn die Reisen über die Ozeane führten über dunkles, tiefes Wasser, und der Sand der Karoo war ihr auch gefährlich dunkelbraun erschienen. Selbst das Grün im Vorgebirge der Taläk-Berge wirkte im Vergleich zu der hiesigen Vegetation blass und spärlich.
Als sie durch den erwachenden Wald ritten, weckten die Vögel, die gerade von ihrer langen Reise zurückgekehrt waren, sie jeden Morgen mit ihrem Gesang. Tiere huschten zwischen den Bäumen umher und gelegentlich sahen sie ein scheues Reh, das vor ihnen flüchtete. Des Abends unterhielt sie ein Froschkonzert.
Dann setzten die Frühlingsregen ein, und sie ritten tagelang durch einen Wald, von dessen Blättern und Nadeln es unaufhörlich prasselte und tropfte. Aber ihre Regenkleidung hielt das Wasser ab. Nachts lagerten sie, wo sie konnten, manchmal unter hastig aufgespannten Zeltplanen oder unter Felsvorsprüngen, und manchmal, wenngleich auch selten, im Schuppen eines Holzfällers oder in der Scheune eines Bauern.
Wenn es nicht regnete, kampierten sie im Freien, und redeten viel, wenn sie um ihr Lagerfeuer saßen.
An eine Nacht erinnerte sich Faeril besonders gut, und zwar an jene, in der sie sich auf einen Dornenzweig setzte.
»Au!« Die Damman sprang auf, und die anderen sahen zu ihr hin. »Puh! Nun sieh an, Herr Dornenzweig, ich habe vor, mich auf diesen Stamm zu setzen!«
Faeril suchte in ihren Satteltaschen ihre Kletterhandschuhe und zog sie an. Dann packte sie den langen Zweig und zog ihn aus der Erde. Aber er gab nicht nach.
Sie versuchte es wieder, jedoch vergeblich.
Urus trat zu ihr, die Wasserschläuche über der Schulter. »Kommt, Kleine, lasst uns zusammen ziehen.«
Faeril zog erneut mit aller Kraft, und Urus half ihr ein wenig aus. Schließlich gab der Dornenzweig nach und kam aus der Erde. Die Wurzel war fast so lang wie der Zweig selbst.
Faeril sah Urus an und grinste. Der Baeron erwiderte das Grinsen, dann ging er mit Riatha zum Fluss. Der Blick der Damman folgte ihnen ein wenig, blickte dann zum Halbmond hinauf und lächelte. Sie drehte sich herum, warf den Dornenzweig ins Feuer und sah in Gedanken versunken zu, wie er verbrannte.
Als sie nach einer Weile hochsah, merkte sie, dass Aravan sie beobachtete. »Wenn nur alle unsere Probleme
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