Mithgar 16 - Drachenmacht
ich dich, wen du verteidigen würdest, wenn sich dir die Wahl stellen würde - deinen Geliebten oder jene, die deiner Hilfe vielleicht dringender bedürften … Riatha, zweimal, sogar dreimal wurdest du vor diese Entscheidung gestellt, und jedes Mal bist du den Kleinen zu Hilfe geeilt. Ich bitte dich, mir meinen Zweifel zu vergeben.«
Riatha schüttelte den Kopf. »Du hattest recht, mich infrage zu stellen. Denn ich wusste es selbst nicht, bis die Zeit kam…«
Sie warf einen Blick auf den schlafenden Baeron. »Ah, hätte ich gewusst, dass Urus die Wunden hinnimmt, ohne dass sie eine andauernde Wirkung zeitigen. Es hätte mir viel Verwirrung erspart.«
Aravan sah ebenfalls zu Urus hinüber. »Dara, wie alt, würdest du sagen, erscheint er dir?«
»Aro, Aravan, ich kann die Jahre eines Sterblichen nicht abschätzen.«
»Ich würde sagen, er ist noch … jung«, überlegte Aravan sinnend. »Lord Hanor in Caer Pendwyr schätzte ihn auf nicht älter als dreißig Jahre.«
»Worauf willst du hinaus, Aravan?«
»Auf dieses, Dara: Baron Stoke sagte, dass Elfen nicht die einzigen Unsterblichen wären. Und damit hatte er recht… die Verborgenen sind unsterblich, ebenso die Götter, aber auch noch andere.
Stoke behauptete nicht nur, er wäre unsterblich, sondern auch, dass er nur mit reinem Silber, oder dem raren Sternensilber, durch Feuer, oder in den Fängen und Klauen eines anderen…«
»… so Verfluchten getötet werden könnte!«, unterbrach ihn Riatha. Ihr Herz hämmerte in der Brust, als eine wilde Hoffnung in ihr aufkeimte. »Urus ist auf diese Weise verflucht. Oh, Aravan, glaubst du …?«
Aravan hob die Hände mit den Handflächen nach oben. »Wir können nur abwarten, Dara. Urus könnte sehr wohl unsterblich sein, aber auch nur über die Lebensspanne eines Sterblichen verfügen, oder keines von beiden. Aber eines wissen wir: Die Zeit wird es erweisen … das wird sie allerdings.«
Sie reisten tagsüber und lagerten des Nachts, der blinde Karawanenmeister, seine Gemahlin, seine Tochter und sein hünenhafter Leibwächter. Gelegentlich kehrten sie in Dörfern entlang des Vorgebirges ein und verbrachten eine Nacht in einer angenehmen Herberge, benutzten die Gelegenheit für ein privates Bad, schliefen in Betten und füllten ihre Vorräte auf.
Unterwegs sahen sie viele Anzeichen für die Vernichtung der Religion des Propheten Shat’weh, zerfallene Minarette und verlassene Tempel und Moscheen. Niemand rief zum Morgen- oder Abendgebet, und ab und zu ritt ein Trupp Soldaten an ihnen vorbei. Ob das in diesem entlegenen Land üblich war, wussten die vier nicht, aber auch in dem Fall wäre es ihnen bedeutungsvoll erschienen.
Es regnete zweimal in dieser Zeit: Einmal war es ein sanfter Regen, doch beim zweiten Mal wurde ein Wolkenbruch von einem scharfen Wind gepeitscht. Noch Tage danach mussten sie Flüsse überqueren, deren Wasser von den Gebirgsbächen angeschwollen waren.
Sie ritten fast einen Monat nach Norden, bis schließlich der Tag kam, der neunundzwanzigste seit ihrem Aufbruch von der Moschee, als sie von einem Hügelkamm aus die azurnen Wasser der Avagon-See erblickten. Vor ihnen lag die Hafenstadt Khalish, und in der Bucht segelten Dhaus mit ihren Segeln. Als Faeril sie sah, brach sie in Tränen aus. Auf Aravans Frage antwortete sie: »Ach, Aravan, erinnert Ihr Euch an diese Luftspiegelung? An diese Schiffe, die durch die Wüste zu segeln schienen? Gwylly war damals so glücklich. Und ich auch, o ja, auch ich war glücklich.«
Sie behielten nur wenige Dinge für sich und verkauften die Waren und die Kamele in der Stadt. Der blinde Karawanenmeister handelte sehr geschickt und erzielte einen gerechten Preis für alles. Sein stummer Leibwächter mit dem großen Krummsäbel wog das Silber und Gold aus.
Sie buchten eine Überfahrt nach Arbalin, da kein Schiff aus Khalish nach Pellar segelte. Und neun Tage nach ihrer Ankunft in der Hafenstadt stach eine dreimastige Dhau - die Hiläl - mit ihnen an Bord in See.
Sie segelten über die Aragon-See, Tag und Nacht. Die Mannschaft des Schiffes bestand aus dunkelhäutigen, drahtigen Seeleuten. Sie fuhren durch Gewässer, die von Rovers beherrscht wurden, aber offenbar ohne Furcht. Hyree und Kistan unterhielten seit jeher Handelsbeziehungen zueinander, waren Waffengefährten und hatten dieselbe Religion. Also fuhren sie des Nachts mit angezündeten Laternen und mit leuchtend roten Segeln am Tage und verkündeten allen, dass hier ein mutiges Schiff
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