Mitte der Welt
hierzulande zu nehmen sind. Nachzutragen wäre also: Bei Sezer war’s, wo ich den ersten Versuch wagte und scheiterte.
Auch ihren Namen, sagt Sezers Freundin, dürfe ich selbstverständlich nennen, gerne sogar, ihr gefalle, wenn über sie geschrieben werde. Oder ich könne überhaupt ihre Familiengeschichte aufschreiben; eine interessante, sehr verwickelte Familiengeschichte, typisch armenisch, weil eng verflochten mit der des armenischen Volkes. Eine Geschichte, die 1840 im Kaukasus beginne und schließlich bis nach Istanbul führe, bis zu ihr.
Sie, die mir ihre Geschichte mitsamt Namen anbietet, heißt Verkin.
Verkin ist Virgo auf Armenisch, sagte sie, als wir uns bekannt machten, aber der Name passt nicht zu mir, wie eine Jungfrau lebe ich ganz und gar nicht.
Verkin gefällt mir, ein schöner Name. Und sie, wie sie daliegt, glänzend, weich, goldbraun noch vom Sommer und leicht bewegt von Sevinçs gekonntem Schrubben – eine schöne Liegende!
Verkin spürt, dass ich sie anschaue. Ja, schau nur! Sevinç ist eine der Besten! Mehr als dreißig Jahre hat sie Erfahrung. Sie hat wirklich Ahnung von Frauen wie selten eine! Manchmal, während sie mich wäscht, stelle ich mir vor, wie unendlich viele Frauen sie schon in ihren Händen hatte und was alles sie gesehen und gehört hat, all die Geheimnisse der Frauen, ihre Sorgen, ihre Wünsche, ihre Ängste – was alles sie weiß, die ganzen heimlichen Liebesgeschichten, Listen und Intrigen, wer wen geliebt hat und betrogen und so weiter. Geliebte vieler großer Männer haben sich von ihr waschen und beraten lassen und vorbereiten für die Nacht; sie kann wirklich mehr als nur Waschen!
Sevinç lächelt, während sie ihre Arbeit tut, nun an Verkins Armen; sie scheint zu verstehen, trotz Englisch.
Auch ich, sagt Verkin, nun auf Türkisch, wenn ich einen neuen Geliebten habe, lasse mich ausgiebig und sorgfältig von ihr pflegen und beraten.
Evet canım , ja meine Liebe, so ist das!, sagt Sevinç, unverändert lächelnd, greift nach der Schüssel, schöpft Wasser und gießt es über Verkin, dann über die Marmorliege, und spült die abgerubbelten Hautnudeln weg. Schau nur, wie viel du heute wieder losgeworden bist! Und nun, güzelim, meine Hübsche, leg dich wieder zurück auf den Bauch! Und noch einmal legt sie Hand an Verkin, wäscht sie mit schäumender Olivenseife.
Heute Morgen, als ich nach langem einmal wieder bei Sezer vorbeischaute, zeigte sie mir zwei Bücher, die sie herausgegeben hat, eines mit nachgelassenen Texten ihrer berühmten, viel zu früh verstorbenen Schwester Tezer, das andere über Oğuz, den ebenfalls sehr früh verstorbenen Dichterfreund. Und zurzeit, sagte sie, übersetze sie wieder, dieses Mal Böll, obwohl sie eigentlich nicht mehr übersetzen wollte; zu hartes Brot, und karg, was dabei abfällt, davon wirst du nicht satt.
Aber wenn du, die beste aller Übersetzerinnen, die wie keine andere zwei Sprachen so beherrscht, dass du sogar beidseitig so übersetzen kannst, dass nicht nur keine Frage aufkommt, wie es im Original heißen mag, sondern du den O-Ton so triffst, dass, soweit ich es beurteilen kann, Untertöne und Nebenklänge zu hören sind, wenn du aussteigst aus diesem Geschäft, wird es ein unersetzlicher Verlust sein für die lesende Menschheit!
Sezer lachte, mein Honig um ihren Bart schien ihr nicht zu süß; jedenfalls fuhr sie fort: Und außerdem habe sie einen Kongress organisiert für Kulturschaffende aus den Ländern ums Schwarze und ums Baltische Meer herum. Stell dir vor, auf dem Schiff, ein schwimmender Kongress! Übers Schwarze Meer sind wir gefahren, durch den Bosporus, mit Station in Istanbul, bis nach Athen! Und übergangslos: Eigentlich bin ich grad auf dem Sprung zu einer Freundin, die hat in ihrem Haus ein privates Hamam, willst du mitfahren?
Es ist wirklich zum Lachen – ausgerechnet du fragst mich, ob ich mit ins Hamam will! Damals hast du dich so ausgelassen über die Hamam-Geilheit europäischer Menschen, dass ich niemals annahm, du selbst würdest ins Hamam gehen!
Sezer erinnerte sich an nichts. Immer schon gehe sie ins Hamam, vor allem im Winter, oft zusammen mit Verkin, es sei fast schon Tradition. Aber zugegeben, im Privat-Hamam ist es natürlich ein besonderer Genuss!
Gut möglich also, dass alles ganz anders war –
All die verwickelten Geschichten zu Verkin, die mir Sezer erzählt hat im Auto unterwegs hierher, Geschichten, als ob Schicksal die Hand mit im Spiel gehabt hätte; und je mehr sie
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