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Mitte der Welt

Mitte der Welt

Titel: Mitte der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Priess
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wollen unbedingt dabei sein, sondern sie wollen uns unbedingt dabeihaben in ihrem Club. So wie es heute aussieht, könnte durchaus sein, dass das alte Europa eines Tages dankbar sein wird, für China produzieren zu dürfen. Heute aber sind wir Europa dankbar, dass sie uns zwingen, unsere Hausaufgaben, die wir natürlich kennen, tatsächlich zu erledigen. Das immerhin ist ein positiver Effekt für uns bei dieser ja doch auch peinlich mühsamen Annäherung Europas an die Türkei.
    Haldun hat es mit dem Handel und Vertrieb von Textilverarbeitungsmaschinen zu großem Reichtum und Ansehen gebracht; ja, und auch er sammelt Kunst und unterstützt sehr großzügig diverse soziale Einrichtungen sowohl hier im Land als auch weltweit.
    Über seine Freunde müsste möglich sein, mit den hiesigen jüdischen Kreisen in Kontakt zu kommen, so dass, wenn meine Münchner Freundin inşallah bald kommt, wir uns gezielt auf die Suche nach den Camondo-Spuren machen können.

OSMANINNEN
    In Marmorbecken fließt Wasser, heißes und kaltes, rauscht, strudelt, läuft über, Dampf steigt auf. Mit silbernen Schüsseln schöpfen wir und gießen es uns über Beine, Bauch, Brüste, Arme, Schultern, Rücken, immer wieder schöpfen wir und übergießen uns, sitzend im warmen Wasserdampf, der dicht und dichter wird; wir werden weich und weicher. Und plötzlich, während wir sitzen und uns mit warmem Wasser übergießen, fällt mir ein: Bald ist der Vierzehnte, ich muss meiner Freundin in München unbedingt schreiben, und vielleicht, wenn ich es heute noch tue, kommt der Brief zum Geburtstag noch rechtzeitig an.
    Sevinç zieht sich den kese, den rohseidenen Frottierhandschuh, über die Hand, bindet ihn fest und fragt: Wer will zuerst?
    Ich, sage ich.
    Sevinç fasst mich prüfend an, sagt: Deine Haut ist noch nicht offen genug!, und nimmt statt meiner eine der beiden anderen Frauen dran. Während ich weiter warmes Wasser über mich gieße und versuche, wohlig weich mich gehen zu lassen in der feuchten Wärme, staune ich einmal mehr, wie selbstverständlich diese Frauen ihre Körper nehmen. Beide sind sie ungefähr in meinem Alter und auch sie beide nicht mehr jugendlich schlank, aber ich finde diese fülligen, üppigen Frauenkörper schön. Mir gefällt, wie sie in ihrem Körper drin sind, eins sind mit sich in ihrem Leib und ihn nicht nehmen wie ein Ding, das Wartung und Instandhaltung braucht, damit es weiter seinen Dienst tue, das Stück Fleisch, und hergibt, was aus ihm herauszuholen ist.
    Selbstverständlich kannst du über mich schreiben, kommt S. auf unser Gespräch im Auto zurück, und nenn mich ruhig beim Namen, da ist doch nichts dabei.
    Ich würde also nicht von einer »S.« berichten, sondern von »Sezer«‚ ob ihr das tatsächlich recht sei.
    Ich habe nichts zu verbergen, und Angst, dass ich falsch gesehen werde, diese europäische Angst ist nicht meine Angst. Schreib, was du willst! Letztlich sagt, wer über andere schreibt, selbst wenn er nichts als die Wahrheit zu sagen für sich in Anspruch nimmt, doch am meisten über sich selbst.
    Jene, die ausgestreckt auf der Marmorbank liegt und von Sevinç, nein, nicht geschrubbt wird, nicht gerubbelt, nicht gestreichelt, aber an dieser Art Stoffhandschuh muss wohl liegen, dass sich auf ihr grauschwarze Hautnudeln über und über rollen, sie hebt den Kopf und fragt: Schreibst du? Und nachdem ich erzählt habe, woran ich zurzeit arbeite, lachend: Willst du damit den Westen bekehren? Ihnen dort klarmachen, wie beschränkt ihr Blick ist?
    Sevinç tippt ihr ans Bein, damit sie sich auf den Rücken drehe. Sie dreht sich auf dem nassrutschigen Marmor um, und Sevinç beginnt von neuem.
    Aber eigentlich interessiere mich vor allem, sage ich, wie über lebende Personen zu schreiben möglich ist.
    Wie schön, überhaupt schreiben zu können! – nein, wir sprechen Englisch, how nice to be able to write at all , sagt sie, was, wie ich finde, nicht dasselbe ist –; sie könne nicht einmal Liebesbriefe schreiben, oder wenn, dann zerreiße sie sie am nächsten Morgen.
    Umso besser, offenbar brauchst du über Liebe nicht zu schreiben, weil du Liebe vermutlich lebst.
    Sie würde mir raten, über den heutigen Hamam-Nachmittag zu schreiben, so etwas werde gerne gelesen, besonders übers Hamam.
    Ja, es hat lange gedauert, sage ich, bis sich mir endlich die Gelegenheit bot, ins Hamam mitgenommen zu werden; eigentlich ist es eine lustige Geschichte, finde ich, mitsamt meinen ersten Erfahrungen, wie Verabredungen

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