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Mitteilungsheft - Leider hat Lukas

Mitteilungsheft - Leider hat Lukas

Titel: Mitteilungsheft - Leider hat Lukas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niki Glattauer
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habt etwas versäumt. Laura war eine super Maria!
    –  Das Krippenspiel? Heute? Wieso hat mir niemand … Es ist bitte November. Ich dachte, ein Krippenspiel wird zu Weihnachten gespielt. Sogar in einer Schule.
    –  Es war die erste Probe.
    –  Generalprobe heißt das, Schätzchen.
    –  Ihr wart bei der Probe?? Ich schwöre, davon hab ich n…
    –  Alle waren da, Papi, nur du nicht! Man hat etwas spenden dürfen. Für die Demonstration.
    –  Dekoration.
    –  Direktion.
    –  ---
    –  Mach dir nichts draus, Laura, Schätzelchen, ich hab mich ja freigeschaufelt für dich. Und dein Vater hat bestimmt viel zu tun gehabt. Aber ich hab ihm den Erlagschein mitgenommen. Er wird das morgen erledigen. Gell, Wawa? Und zwar von deinem Konto.
    Zeit, auch einen Schuss abzugeben. Wenn auch nur in die Luft.
    –  Wir haben bis vor fünf Minuten mathematische Probleme gelöst.
Lukas will dir etwas beichten, Bine.
    –  Lukas muss mir überhaupt nichts beichten, was mit der Schule zusammenhängt. Du bist dieses Jahr der Beichtstuhl, nicht vergessen!
Was ist es denn, Lukas?
    –  Egal. Eh schon geklärt.
    –  ---
    –  Komm Lukas, wir machen weiter Mathe!
    Und ab in sein Zimmer. Dort war zunächst besinnliches Zusammensein angesagt. Dann hat Lukas irgendwann seinen Smart-Trottel in der Hand gehabt und ich hab mich an den PC gesetzt:
    –  Sag, Sohn, kann man Mathe auch im Internet üben?
    –  Oida!
    Ausgerechnet Mathematik , der an den Schulen dieser Welt neben Altlatein und Uraltgriechisch am meisten überschätzte Unterrichtsgegenstand. Wenn man mich fragt: Spätestens ab der 6. Schulstufe sind zwei Stunden Mathe pro Woche ausreichend. Eine Stunde, in der man für jene drei Lebenslagen gerüstet wird, in denen man Mathematik braucht: a) das Gegenrechnen von Überziehungszinsen auf dem Gehaltskonto mit den Zinsen für einen etwaigen Kredit zum Abdecken desselben, b) das Nachrechnen von All-in-One-Gratis-Handy-TV-Internet-Monatsabrechnungen, c) das Berechnen der benötigten Menge Farbe zum Ausmalen der neuen Mietwohnung, in die man gezogen ist, nachdem der Mietpreis in der alten quasi im Wochentakt wertgesichert wurde. Dann eine halbe Stunde für regelmäßiges, lockeres Kopfrechnen (den Kopf hat man nämlich meistens dabei, wenn’s drauf ankommt, Papier und Füllfeder nicht), und die letzte halbe Stunde für das Beherrschenlernen von Taschenrechner, Handyrechner und Rechner am PC.
    Für alle, die mehr rechnen wollen – z.B., weil sie PISA-Auswerter, Physiknobelpreisträgerin oder Science Buster werden wollen –, sollte Mathe nachmittags als unverbindliche Übung angeboten werden, zur freien Wahl in einem Topf mit „Darts“, „Lustig reimen“ und „Sitzfußball“.
    Praxis ist bekanntlich das Gegenteil. Jahrelang quälen sie dich in „Mathe“ mit Buchstaben, Bruchstrichen und drei Stellen hinter dem Komma, und dann haben sie auch noch die Unverschämtheit, so etwas „Rechnen“ zu nennen. Hat bitte irgendwer, der später nicht Mathematiker oder Mathematiklehrer geworden ist, nach seiner Schulzeit je wieder mit Buchstaben oder Strichen zwischen Zahlen gerechnet? Eben. Mir hat das als Schüler im zarten Alter von 16 zu schwanen begonnen:
    –  Wozu Mathematik, Papa?
    –  Das ganze Leben ist Mathematik. Frag deinen Professor.
    –  Wozu Mathe, Herr Professor?
    –  Das ganze Leben ist Mathematik. Frag deinen Vater.
    Meinen Vater habe ich zwar nicht gefragt, der wäre als pleitegegangener Betreiber eines ehemaligen „Lichtspieltheaters“ (heute ein „Alles-1-Euro“-Shop) die falsche Adresse gewesen, aber in mein eigenes, damals noch junges Leben habe ich ein wenig hineingehorcht. Von Brüchen und Kommastellen keine Spur. Da war alle zwei Wochen das Sportklub-Match auf dem Sportklub-Platz mit Knackwurst und Semmel. Da war jeden Donnerstag das neue Perry-Rhodan-Heft, da war der strohblonde Helmut aus dem Nebenbau, bei dem ich unter der Klopfstange die Schallplatten zu Geld machte, die mein Vater nach Hause gebracht hatte („Sag, Liebling, hast du die neue Udo-Platte verborgt, ich kann sie seit Wochen nicht finden.“), und da war Johanna, die jüngere Schwester eines Klassenkameraden. Tja, und da war die Schule. Also noch einmal zum Mathe-Lehrer.
    –  Wozu wirklich Mathe, Herr Professor, in echt jetzt?
    Dann erfuhr ich, dass sich die Welt gar nicht mehr drehen würde, wenn da nicht schon im alten Griechenland Männer wie Pythagoras oder Archimedes die Arithmetik und die Geometrie begründet

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