Mittelalterliche Klöster: Deutschland - Österreich - Schweiz
asketischen Vorschriften und dem Ordenskleid. In der Architektur wird man diese Identität kaum an spezifischen Formen ausmachen können, sondern eher daran, wie ein bestimmtes formales Repertoire konkret umgesetzt wurde. Zu berücksichtigen ist zudem, dass gerade im Reformmönchtum Neues oft im Rückgriff auf Altes entstand, während architekturgeschichtlich eher nach formalen Innovationen, die sich in größere geschichtliche Zusammenhänge einordnen lassen, gesucht wird. Diese dürften jedoch häufig technischer Art gewesen sein und wurden durch gut ausgebildete Bauleute realisiert. Je anspruchsvoller eine Bauaufgabe war, desto wahrscheinlicher ist es, dass man sie als Fremdleistung einkaufte. Gegenstand dieser Geschichte ist nicht primär die des Mönchtums, sondern eine Analyse arbeitsteiliger bauhandwerklicher Prozesse. Denn es herrscht heute in der Forschung weitgehend Konsens darüber, dass es keine eigenen Baubetriebe im Sinne wandernder ordensgebundener Hütten gab. Gleichwohl gab es in Konventen vereinzelt fähige Bauleute bzw. wandernde weltliche Bauhandwerker.
Abschließend sei noch auf einen Aspekt hingewiesen, der meines Erachtens zu wenig reflektiert wird: die Architekturwahrnehmung. Für das Mittelalter gilt, dass Räume als Erfahrungsräume meist additiv wahrgenommen wurden, also nicht als physikalische Einheitsräume, wie wir es heute tun. In einer Zeit, die die Zentralperspektive noch nicht kannte und bei der der Betrachterstandpunkt vor dem Bild liegt, war man quasi immer mittendrin. Räume werden im Durchschreiten wahrgenommen. Die Erfahrung ist eine kinästhetische. Doch Kirchenräume waren nicht komplett und ohne weiteres überall zugänglich. Die Bewegung im Raum ging meist mit liturgischen Diensten einher, seien es Stundengebete, Messen oder Prozessionen. Raumwahrnehmung geschieht vor allem über das Hören. Nur akustische Signale vermitteln etwas von der Tiefe oder Höhe des umbauten Raumes. Räumliches Sehen unterliegt Täuschungen. Denn je weiter sich ein Objekt vom Betrachterstandpunkt entfernt, desto schwieriger ist die räumliche Verortung. Hinzu kommt, dass die Perspektiven in mittelalterlicher Zeit keineswegs unseren heutigen entsprachen. Lettner, Kapelleneinbauten und verschiedene Abschrankungen versperrten nicht nur die Sicht, sondern auch für bestimmte Menschengruppen den Zugang. Erst der Blick ins Gewölbe mit seinen modularisierten Einheiten vermittelte eine Idee vom Einheitsraum.
Wenn wir heute Architektur wahrnehmen, ist nicht nur die Differenz zur mittelalterlichen Form der Sinneswahrnehmung in Rechnung zu stellen, sondern sind auch die Veränderungen durch Restaurierungen, Umbauten und Fotografie zu berücksichtigen. Abgesehen davon, dass in den meisten Klosterkirchen die mittelalterliche Ausstattung verschwunden ist, sind die durchaus verdienstvollen Restaurierungen des 19. Jahrhunderts kritisch zu reflektieren, da hier oft eine romantische Verklärung mittelalterlichen Bauens inszeniert wurde. Doch sei betont, dass es ohne den Pioniergeist jener Architekten, Antiquare und frühen Denkmalpfleger heute vielfach nichts mehr zu restaurieren gäbe. Die Architekturfotografie ist ebenfalls optisch zu bereinigen. Denn das entstandene Bild erlaubt uns aufgrund der technischen Möglichkeiten einen Blick auf Architektur zu werfen, der sich von der unmittelbaren Wahrnehmung und Raumerfahrung vor Ort gravierend unterscheidet. Die durch technische Verfahren bereinigten Weitwinkelaufnahmen haben in der Regel einen Betrachterstandpunkt, der vor dem Kirchenraum liegt. Während der Blick auf die Architekturfotografie die simultane Wahrnehmung von großen Raumeinheiten ermöglicht, sind wir vor Ort gezwungen, ein derartiges Gesamtbild im Kopf zu konstruieren. Hinzu kommt, dass unser Blick, wenn wir architektonische Räume durchschreiten, auch von Gestaltungsprinzipien geleitet wird und abschweifen oder auf bestimmte Punkte fokussiert werden kann. Auf alle Fälle ist unsere Wahrnehmung gesellschaftlich geformt und kulturell konditioniert, sodass der naive Blick, d. h. ein Sehen, das die Erfahrungen ausblendet, überhaupt nicht möglich ist. Aber wir können uns kritisch fragen, was wir sehen und warum wir es so wahrnehmen, und gewinnen so mit eine Distanz zum Mittelalter, aber auf einer anderen Ebene auch ein tieferes Verständnis von der Architektur dieser Zeit.
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