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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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kontrollierbaren Reflexe, die einen von der körperlichen Arbeit geschundenen Leib auch in seinen alten Tagen noch antreiben und in Bewegung halten. Bewegungen, die die Alte Mare ihr Leben lang gemacht hat und die jetzt nicht einfach so aufhören können.
    Rückwärtsgehend und gebückt fast bis zum Boden, zieht sie den träge trippelnden Hund an seinem Halsband hinterher, mit fast schon allerletzter Kraft aus der Küche hinaus und den Hausgang entlang, am Männerklo vorbei, hinüber bis in ihre Kammer.
    Ha! Die Oide Mare ... Mit einem warmen Blick schaut ihr der Seewiesner nach. – An die hab ich oft denken müssen im Russenlager. Das hat mich aufgerichtet. – Als Kind war er früher oft mit dem Ruderboot von Seewiesn nach Seedorf herübergerudert. Der alte Seewirt war sein Großvater, und der jetzige ist sein Onkel. – Die Alte Mare hat mir immer eine Tafel Schokolade in die Joppentasche gesteckt, bevor ich kurz vor Sonnenuntergang wieder heimgerudert bin, um nicht in die Nacht hineinzukommen. Und nicht ins Wasser hineinschauen, hat sie mich immer gewarnt, sonst wird dir schwindlig, und du fallst hinein in den See und ertrinkst. Ich hab es ihr geglaubt und bin ganz steif zurückgerudert.
     
    Warum du hast das gesagt?
    Der Tucek, der während des Geplänkels um den Bulldog nur stumm dabeigesessen ist, den Kopf gesenkt und sichtlich unberührt vom Thema, hat sich auf der Bank nach hinten angelehnt und schaut den Neffen, der ihm gegenübersitzt, jetzt direkt an – mit einem zwingend offenen Blick.
    Was?
    Warum du hast das gesagt?
    Was gesagt?
    Das mit die KZ und die SS .
    Warum? ... Ja warum soll ich das nicht gesagt haben? Ha! Was ist daran denn so besonders?
    Hast du schon mal gesehen eine KZ ? Sag! Hast du schon mal gesehen? Und drinnen die SS , in dem KZ ? Hast du? Ja? Kennst du das? Oder redest du nur dumm und Quatsch? Sag!
    Der Tucek lässt den jungen Bauern nicht mehr aus dem Blick. Sein Sehfeld rahmt ihn ein. Der sonst in sich verschlossene, mürrisch wirkende, große, schwere Mann so um die vierzig, genauer lässt sich das nicht sagen, der Ausdruck des Gesichts verweigert jede Nähe, wenn er den Raum betritt und den sofort beschwert mit Unberührbarkeit, der wirkt auf einmal leicht und offen und wie inspiriert.
    Das irritiert den unbedachten Schwätzer, das Fordernde und Zwingende, beinahe heiter Aggressive aus einer für ihn unbekannten, nicht geheuren Welt, das den jungen, unbedarften Bauernburschen jetzt da anspringt, von der andern Seite dieses Tisches her. Nichts Banales ist es mehr, das spürt er auf der Stelle, sondern etwas unbarmherzig Klares, dem er sich jetzt stellen muss, wenn er sich davor nicht feige drücken will.
    Habe ich gerade falsch geredet, weil du so beleidigt schaust?
    Hast du schon mal gesehen, drinnen in die KZ , eine SS -Mann?
    Nein, hab ich nicht. Natürlich nicht. Aber damit hab ich ja auch nichts zu tun?
    Damit du hast nichts zu tun? Aber du redest darüber?
    ... ...
    Warum du redest darüber?
    Weiß ich nicht. Ich weiß es nicht. Es ist mir eingefallen!
    Es ist dir eingefallen?
    Ja. Vielleicht.
    Und warum es ist dir eingefallen – vielleicht?
    Warum?
    Ja!
    ... ...
    Warum ist dir eingefallen?!
    ... ...
    Warum?
    Warum?!
    Ja!
    Vielleicht, weil man es kennt. Weil darüber geredet wird ... Scheiße! Was fragst du mich eigentlich so blöd, ich hab doch gar nichts Unrechtes gesagt.
    Nein. Nix Unrichtiges du hast gesagt. Das stimmt. Du nur hast geredet ohne Gewissen, ohne zu wissen, was du redest. Früher ihr immer habt gesagt: Nix wissen! Alle Deitsche. Und dann ihr habt doch was gewusst. Und jetzt ihr redet wieder, ohne was wissen. Also was? Hast du gewusst was, oder hast du nix gewusst. Wenn du nix hast gewusst, dann frage. Geh und frage! Aber rede nicht Quatsch.
     
    Dem Zenz wird es zu eng an seinem Platz. Er möchte gerne gehen. Dem Valentin geht es genauso und dem Viktor auch. Sie sehen, dass dem Neffen schwer das Blut nach oben steigt. Ganz rot schon ist sein Kopf. Eigentlich müsste man ihm jetzt zu Hilfe kommen. Er ist noch jung, und was Schlimmes hat er eigentlich ja nicht gesagt. Vielleicht war es ein bisschen unvorsichtig, so daherzureden. Aber vor neun Jahren, mein Gott, da war der ja erst 13 Jahre alt. Noch nicht einmal beim Volkssturm ist er da dabei gewesen. Also was soll das? Warum muss er ihn so in die Enge treiben?
    Der Tucek sitzt den andern Männern offen gegenüber. Er schaut zwar nur den lauten Buben an, hat aber die anderen schon längst mit einbezogen. Und

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