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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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sie wissen es. Er ist auch gar nicht mehr so aggressiv. Auch verbissen ist er nicht. Er ist eher heiter – und fordernd, als spiele er ein Spielchen mit dem jungen Bauernburschen, der so gedankenlos sein Reden in den Raum geworfen hat, voll Selbstgewissheit, ohne den geringsten Zweifel an der Welt, wie er sie kennt und die er deshalb selber ist und die ihm zu seinen jungen Füßen liegt, wie er meint, ohne überhaupt zu wissen, dass er so was meint. Und er, der junge, unbedarfte Depp in diesem Spiel, und die anderen Männer an dem Tisch, sie möchten alle lieber draußen stehen und unbeteiligt Zeuge sein, statt selber angespielt zu werden. Doch sie sind fest eingebunden jetzt, in eine Atmosphäre voller Unbehaglichkeit, und leben deshalb auf in ihr wie die Milben unter einer warmen Decke. Noch sind sie ohne Lust und möchten das jetzt nicht ertragen müssen, so mittendrin und ausgesetzt, noch würden sie sich gern verstecken.
    Der Seewirt als der Herr des Hauses und der Arbeit und so die oberste Instanz am Tisch wagt einen Ausfall in die Güte: Karl, sagt er zum Tucek, wir wissen alle nicht genau, warum Sie jetzt so reden. Vielleicht haben Sie ja Schlimmeres erlebt als alle andern hier am Tisch. Doch, glaub ich, gibt es keinen hier, der nicht von dieser fürchterlichen Zeit, die aber auch schon wieder lang vergangen ist, auf irgendeine Art und Weise gezeichnet worden wär. Schau’n Sie nur den Bertl an, den Sohn von meiner Schwester aus Seewiesn, was dem geschah und wir um den gefürchtet haben! Und den Herrn Hanusch, dem die Russen seine Heimat weggenommen haben. Und auch der Zenz, der Valentin und ich: Wir waren zwar nicht an der Front, doch auch im Hinterland des Feindes war man in der Pflicht und ungeschützt. Ich bin sogar verwundet worden. Und der Alte Sepp und all die andern Alten und die Frauen, die haben an der Heimatfront gekämpft, dass der Nachschub nicht versiegt und wir im Feindesland nicht ohne lebenswichtige Versorgung waren. Und das stimmt schon: In den Lagern sind sehr – wie soll ich sagen? – unschöne Sachen vorgefallen. Doch hat man das ja alles erst hernach erfahren. Und jetzt geht es ja den Leuten auch schon wieder besser. Also sollten wir das doch allmählich alles bald vergessen und nach vorne schauen. Oder?
    Aber Sie können nicht wissen, wo ist vorne, wenn Sie nicht wissen: wo war hinten, sagt der Tucek.
    Da wo ich hingehe, ist vorne.
    Aber wo Sie kommen her, ist hinten.
    Aber da war ich ja schon. Da kann ich es doch hinten lassen.
    Aber bevor Sie waren hinten, war hinten vorne.
    Stimmt. Und da bin ich zwar hingegangen, aber dann bin ich auch weitergegangen.
    Nein. Sie sind getrieben worden weiter.
    Von wem?
    Von den Feinden von Ihnen.
    Aber das sind jetzt die Freunde.
    Eben: Sie brauchen Freunde, die passen auf, dass Sie nicht wieder gehen nach hinten.
    Nehmen Sie sich gefälligst zusammen!, mault der Seewirt da den renitenten Tschechen an, wenn irgendwem ein Unrecht geschehen ist, dann ist das wiedergutgemacht worden. Das kann man jetzt in jeder Zeitung lesen. Wir müssen uns nichts Unverschämtes mehr gefallen lassen. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.
    Etwas erregt steht er auf und setzt sich gleich wieder hin. Auch die anderen nicken murmelnd zu des Seewirts klarer Sprache und zeigen damit an, dass der Teppich, der das unter ihn Gekehrte bisher deckte, noch immer tadellos den Heimatboden ziert.
    Der Tucek hat das auch verstanden.
    Ich niemand möchte hier beleidigen, sagt er und hebt zum Zeichen der Ergebung die flachen Hände in die Luft, ich habe nur gestellt vernünftig ein paar Fragen.
    Dann ist es gut, belobigt ihn der Seewirt und beruhigt damit zugleich die anderen. Wir sind nicht nachtragend. Es muss nur alles haben seine Richtigkeit, und spricht zur Aufheiterung zwecks Entspannung ein wenig holprig, genauso wie der Tucek, und das freut die andern, und sie nicken lächelnd dazu.
    Da Sie haben recht, sagt der Tucek, man soll nicht sein nachtragend, und alles muss haben seine Richtigkeit. Drum ich möchte Ihnen erzählen eine Geschichte. Haben Sie Zeit? Oder wenn Sie haben keine Zeit, nehmen Sie Zeit.
    Da schon Feierabend ist und es ihm wieder einmal gelungen ist, alle zu beschwichtigen und den Frieden wieder herzustellen und so ein weiteres Mal seine unangefochtene Autorität zu beweisen, sagt der Seewirt gönnerisch: Eine Geschichte? Selbstverständlich! Das ist doch mal was anderes, oder? Und die anderen nicken zustimmend und lehnen sich zurück oder stützen sich mit dem

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