Mittelreich
Planung bedürften . So stand es im Wochenblatt .
Der Seewirt wollte auf jeden Fall den neuen Traktor selbst einfahren. Dazu hatte ihm der Landmaschinenhändler Finsterle geraten: Je sauberer du deinen Bulldog einfährst, je einfühlsamer, desto länger hält er dir. Danach jedoch müsste auch noch ein anderer dieses neue Gerät bedienen können, ohne des Seewirts ständige Anwesenheit. Nur so wäre die Anschaffung des Traktors wirtschaftlich sinnvoll. Und der Viktor und der Valentin gehörten bereits zum alten Eisen und würden über kurz oder lang sowieso über eine der neuen sozialen Einrichtungen – und selbstverständlich auf saubere, gesetzlich geregelte Art und Weise – irgendwann in einem öffentlichen Austrag untergebracht werden.
Oder eben auch nicht. Das würde man dann schon sehen, wenn es so weit war. Der Seewirt wollte da nicht planerisch vorausdenken. Die Zeit mit ihren Umständen würde es schon bringen.
Unter den vielen Bewerbern für die vom Seewirt ausgeschriebene Stelle war auch der Ziegltrum. Als Sohn eines Bauern erschien er dem Seewirt von allen der Verlässlichste. Deshalb stellt er ihn ein.
Er war in solchen Dingen seit einiger Zeit ein misstrauischer Mensch geworden. Im Merkur standen immer häufiger Berichte über gewerkschaftliche Aktivitäten, die sich schon ein paar Mal zu Streiks ausgewachsen hatten. Dann schimpfte der Seewirt beim Mittagessen über die ungerechtfertigte Unzufriedenheit der Arbeiter. So etwas hätte es beim Hitler nicht gegeben, sagte er – und hatte damit recht, denn Gewerkschaften waren beim Hitler verboten. Jedoch werde er genau darauf achten, dass sich kein politisch infizierter Knecht bei ihm einschleiche, sagte er, und dafür böte ihm ein Bauernsohn noch immer hinlänglich Gewähr. Denn schließlich sei so einer doch einer von uns.
Seine Schwestern nickten dann mit ihren Köpfen und wa ren rundum einverstanden mit dem Reden ihres kleinen Bruders. Die Theres, seine Frau, hielt sich völlig raus und freute sich für alles, was ihr Mann erdachte und ersann.
Am 26 . April 1954 , kurz nach dem Mittagessen, fuhr der Landmaschinenhändler Peter Finsterle aus der Kreisstadt einen grünen 25 er Normag mit roten Rädern und ausgerüstet mit Riemenscheibe, Mähbalken und Zapfwelle, die Hofeinfahrt hinauf und parkte ihn unterhalb des Scheunentors. Der gewohnte Tagesablauf kam komplett ins Stocken. Alle Hausbewohner, erwünschte und unerwünschte (denn auch die Flüchtlingsfamilie aus dem zweiten Stockwerk hatte sich eingefunden, und niemand wusste, von wem sie die geheim gehaltene Neuigkeit erfahren hatte), versammelten sich hinten oben vor der Tenne und sahen zu, wie der Finsterle dem Seewirt die vielfältigen und schwierigen Handgriffe des neuen Arbeitsgerätes vorführte und erklärte. Die Frauen bewunderten die leuchtenden Farben, die Kinder den betörenden Geruch des frischen Lacks, die Männer fachsimpelten über die tief gefurchten Profile der großen Hinterräder – damit kann man es auch mit einem Panzer aufnehmen, meinte der Valentin – und der Seewirt begeisterte sich, mit einer gewissen Erregtheit des Finsterles Vortrag unterbrechend, an der raffinierten Stahlfederung des Schalensitzes, die für den Fahrer des Bulldogs jede Bodenunebenheit ausgleichen würde. Er ging auf die fünfzig zu und hatte mit ersten Rückenproblemen zu tun.
Aber an diesem Bulldog war alles neu, nagelneu! Man konnte es sehen und riechen, und als ihn der Finsterle jetzt zum zweiten Mal seit seiner Ankunft startete, um den schwierig zu ertastenden, richtigen Kolbenstand im Zylinder beim Handankurbeln des Motors zu erläutern – was nötig werden könnte, wenn die Batterie einmal nicht mehr genug Saft hat te, um den automatischen Anlasser anzutreiben, was zum Beispiel im Winter der Fall sein könnte, wenn es einmal so kalt sein sollte, dass man auch beim Mittagessen die Handschuhe nicht mehr ausziehen würde, wie der Finsterle zur Verdeutlichung sagte –, als der Motor des Traktors also ein zweites Mal anfing zu atmen, da konnte man das Neue auch hören: ein mittelhelles, nicht zu dumpfes und auch nicht zu kindisch hohes Schlagen der Kolben, ein Klang in G-Dur etwa, der langsam anhob, allmählich schneller wurde und immer schneller, bis der Motor sich eingependelt hatte und am Ende, bei rundem Lauf – es war ein Vierzylinder – wie ein einziger durchgehender Ton klang, der sich, je nach Stand des Gaspedals, jeweils ein wenig hob oder wieder senkte. Ein metallischer Gesang,
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