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Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Titel: Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margarita Kinstner
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den Donauwalzer. Dann öffnet sich der Vorhang erneut.
    Sie hat die Puppe schon einmal gesehen, damals, als Joe für sie spielte. Die goldenen Haare, ganz aus Holz geschnitzt, umrahmen den Kopf mit dem traurigen Gesicht. Als die Figur auf einen kleinen Sessel am Bühnenrand gesetzt wird, legt sich ihr weißes Gewand in Falten. In den Händen hält sie eine Mohnblume. Langsam zupft sie Blüte für Blüte ab und lässt sie auf den Boden fallen. Marie fragt sich, wie der Puppenspieler es wohl schafft, mit seinen Fingern in den zwei kleinen Schlupfvorrichtungen die Blütenblätter zu fassen und auszureißen.
    – Sie hat Mohnblumen so gern gehabt.
    Es ist die Stimme des Gespensts. Irgendwo hinter der Bühne liegt es jetzt, während die zarte Frauenpuppe traurig vor sich hin sieht und den leeren Stengel der Blume in Händen hält. Das bin dann wohl ich, denkt Marie. Und plötzlich rinnen ihr Tränen über die Wangen. Sie muss sich daran erinnern, wie sie mit Joe auf der Wiese lag. Irgendwo, zwischen Weizenfeldern, am Stadtrand von Wien. Die Wiese war voll mit Margeriten und Mohnblumen. Als er ihr eine pflücken wollte, verriet sie ihm, dass sie Mohnblumen traurig machten. Weil sie so schön, aber so vergänglich seien. »Wenn du sie pflückst, lässt sie schon nach zehn Minuten alles hängen und dann fallen ihr die Blütenblätter aus«, sagte sie, und Joe antwortete: »So ist es mit allen schönen Augenblicken. Deswegen sind sie ja so besonders.«
    Der Vorhang fällt wieder zu. Marie beugt sich hinunter und hebt eines der Blütenblätter auf. Streicht mit dem Daumen über die samtige Oberfläche. Merkt, wie Gery ihr eine Hand auf die Schulter legt.
    »Das ist nicht fair«, flüstert sie. »Das hab ich nur ihm erzählt.«
    – Und? Hast du genug gesehen?
    Der Kasperl lässt die Füße baumeln. Das Gespenst fliegt jetzt wieder von einer Seite zur anderen.
    – Ich hab alles verpatzt. Weißt du, ich habe immer nur sie geliebt. Vom ersten Tag an, als sie mir die Marille geschenkt hat. Aber dann war ich mein ganzes Leben lang zu blöd, ihr meine Liebe zu zeigen.
    – Warum, glaubst du, bist du im Kasperlhimmel?
    – Weil ich der größte Kasperl von allen bin, ich weiß.
    – Weißt was, Gspensterl? Tu nicht herumheulen. Lass die Menschen dort unten Menschen sein und ihre Fehler machen. Wozu über die eigenen nachdenken? Lieber veranstalten wir etwas Lustiges!
    – Ja, was denn?
    – Wirst schon sehen. Ich geh runter zur Erde, und in einem Jahr bin ich wieder da.
    Und schon springt der Kasperl hinter die Bühne, nur die rote Zipfelmütze sieht man noch kurz fliegen. Das kleine Gespenst bleibt nachdenklich zurück und schaut ihm nach.
    Und dann schließt sich der Vorhang erneut und es bleibt ein paar Minuten still im Kasperlhaus. In der Dunkelheit hört Marie Palicini – ein leiser Pfeifton bei jeden Ausatmen.
    – Mein Kind, mein armes Kind, mein Kind, mein armes Kind!
    Als der Vorhang sich wieder öffnet, sieht man eine Hexe mit prallem Busen und verknittertem Gesicht. Neben ihr der Jäger im grünen Lodenmantel.
    – Ja, Hexe Tussifussi, was schreist denn so?
    – Mein Kind, mein armes Kind!
    »Das ist Joes Mutter!«, flüstert Gery in Maries Ohr und beginnt zu lachen.
    »Glaubst du?«
    – Aber Schwesterchen, so beruhig dich doch erst einmal.
    – Mein Kind, mein armes Kind!
    »Und der Jäger muss dann wohl Joes Onkel sein, der Blasbichler!«
    »Der Onkel Willi?«, fragt Marie, und muss daran denken, wie er sie feindselig angestarrt hat, damals, bei Joes Beerdigung. Willibald Blasbichler, der Professor für Quantenphysik, den sie mit Jakob beim Eislaufen getroffen hat und der sich seine Weichteile gerichtet hat.
    »Mein Exfreund schreibt bei ihm seine Doktorarbeit«, kichert sie in Gerys Ohr.
    – Umbracht haben

s ihn, meinen Buben!
    »Was? Dein Exfreund schreibt bei Joes Onkel seine Diss? War das der, mit dem du beim Konzert warst?«
    »Mhm!«
    »Und der schreibt echt seine Diss beim Willi?« Gery prustet los.
    Auf der Bühne marschiert der Jäger mit dem Gewehr auf und ab. Die Hexe jammert und wimmert.
    – Mein Kind, mein armes Kind!
    Da betritt der Kasperl die Bühne.
    – Da heult sie, die leidende Mutter. Welch eine Tragödie. Na, Herr Jäger, sind wir auf Bärenjagd? Oder doch eher auf der Jagd nach was Kleinerem?
    Der Jäger hält das Gewehr an des Kasperls Brust:
    – Wer sind Sie, mein Herr? Stören Sie uns hier nicht in unserer Trauer!
    – Keine Sorge, ich habe nur einen kleinen Auftrag für Sie: eine

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