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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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überreicht hatte.
    Er fuhr auf kurvenreichen, ansteigenden Straßen durch den Nordosten New Mexicos, über trockenes Weidehochland, wo es nichts gab als Aschenhäufchen und Kühe und hin und wieder in der Ferne ein Gebäude inmitten von Viehgehegen. Ein betagter Reiter trieb gemächlich vierzig Kühe die Straße entlang und traf keine Anstalten, sie anzutreiben oder die Straße freizumachen.
    Bob fuhr auf einer Straße, die sich im Zickzack den Berg hochschlängelte, gesäumt von zäh aussehenden Schienbeineichen. Er nahm an, daß er sich eine Stunde Fahrt von den Picket Wire Canyonlands am Purgatoire River befand, südlich von La Junta. Als er dreizehn war, hatten er, Onkel Tam und Bromo Redpoll einen Wagen gemietet und waren zum Withers Canyon Gate gefahren, um von dort zu dem sagenumwobenen Flußbett mit Dinosaurierspuren zu wandern.
    Es war ein heißer Tag gewesen, über vierzig Grad Celsius am späten Vormittag. Bob und Onkel Tam hatten jeder eine Feldflasche mit Wasser umhängen. Bromo trug eine Tagesrationgekühlte Bierdosen, Bob und Onkel Tam hielten Plastikflaschen mit Wasser in der Hand. Bromo und Bob hatten Wanderstiefel an den Füßen, Onkel Tam seine alten schwarzen, stinkenden Turnschuhe. Die Straße zum Ausgangspunkt der Tour war ein einziges Spießrutenlaufen zwischen Schlaglöchern und Felsbrocken gewesen. Vor dem Einstieg zum Flußbett besagte ein Schild, daß der Rundweg zehneinhalb Meilen lang war.
    »Verdammt«, sagte Onkel Tam, »das sind fast elf Meilen zu wandern.«
    »Zwei Stunden hin, zwei Stunden zurück«, sagte Bromo, leerte sein erstes Bier und warf die Dose hinter einen Felsen. »Laß liegen«, sagte er zu Bob, der hinlief, um sie aufzuheben. »Wir nehmen sie auf dem Rückweg mit. Sei nicht so etepetete. Sei nicht so eine alte Mamsell.«
    Sie machten sich langsam auf den Weg den steinigen Pfad hinauf. Die Sonne brannte Bob ins Gesicht, und nach zwanzig Minuten spürte er den Sonnenbrand. Er hatte seine Mütze vergessen. Er sagte: »Onkel Tam, hast du einen Sonnenschutz dabei?« Er hatte den Eindruck, daß sie sich an einem schrecklichen Ort befanden, der vor Feigenkakteen, Yuccasträuchern und purpurnen Cochenille-Opuntien nur so strotzte. Dürre Wacholderbüsche klammerten sich an glühendheißes Felsgestein. Um sie herum ragten die Wände des Canyons auf und sandten Hitze aus wie Strahlenkanonen.
    »Mist, nein. Wäre gar nicht dumm gewesen. Hast du welchen, Bromo?«
    »Im Auto vergessen. Willst du zurücklaufen und ihn holen, Bob? Wir warten solange.«
    »Nein.« Die Vorstellung, irgendwohin zu laufen, war unerträglich.
    Sie gingen weiter, Bromo an der Spitze, als führte er eine Safari an. Jeder Schritt wirbelte eine gelbe Staubwolke vom Weg auf, und bald waren ihre Stiefel und Onkel Tams Turnschuhe,ihre Strümpfe und Unterschenkel mit dem Zeug überzogen, das wie Spreu juckte. Anfangs versuchte Bob, die 330 Milliliter Wasser in seiner Flasche einzuteilen, doch er lechzte nach Wasser, und beim Schlucken schmerzte seine Kehle. Es fühlte sich an, als blutete sie inwendig. Bromo trank sein viertes Bier aus und stellte die Dose behutsam neben dem Weg ab.
    »Nehmen wir auf dem Rückweg mit«, sagte er wie jedesmal, wenn er eine Dose ausgetrunken hatte. Er richtete sich auf; ein dünnes, trockenes Rascheln zitterte in der Hitze. Bob dachte, es sei eine Zikade oder ein Grashüpfer, und ging weiter, im Begriff, Bromo zu überholen, doch Onkel Tam streckte unversehens heftig den Arm aus und traf Bob mitten ins Gesicht.
    »Aua. Warum tust du das? «
    »Ruhe! Das ist eine Klapperschlange.« Die Landschaft schlingerte.
    Sie konnten sie nicht sehen. Sie standen ganz still. Das Surren schwoll an, bis es Bob wie das lauteste Geräusch vorkam, das er je gehört hatte. Aber sie konnten noch immer nichts sehen, bis Bromo einen Schritt tat.
    »Da ist sie«, sagte Bromo. »Direkt neben der Bierdose. Mein Gott, um ein Haar wäre ich dran gewesen.«
    »Ich will hier weg«, flüsterte Bob.
    Sie bewegten sich langsam rückwärts, und als sie ein paar Meter entfernt waren, hob Bromo einen großen Stein auf und warf ihn nach der Klapperschlange. Er verfehlte sie.
    »Was machen wir jetzt, Tam? Sollen wir versuchen, einen Umweg ausfindig zu machen? Die verdammte Schlange ist mitten auf dem Weg. «
    »Ach, zum Henker, laß uns zurückgehen. Ich habe Blasen an den Füßen, Bob hat einen Sonnenbrand, und wer weiß, wie viele Schlangen uns noch über den Weg laufen! Hunderte können hier versteckt sein. Und

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