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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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(ein großes Chemiewerk).
    Allmählich dachte Bob, der ungenannte Ort, der sich hinter der Liedzeile »Und der Himmel ist nicht den ganzen Tag bewölkt« verberge, sei Texas, denn der Himmel über dem Panhandle-Gebiet war oft tagelang bewölkt. Hin und wieder öffneten sich die kochtopfgrauen Wolken ein wenig und enthüllten ungetrübtes Blau. Er konnte sich vorstellen, daß den Farmern zu Dürrezeiten beim Anblick solcher Wolken oft die Galle hochkam – Wolken, die so niedrig hingen, daß man sie fast mit dem Stock berühren konnte, und dennoch keinen Regen spendeten.
    Land, das man erschließen wollte, war unberechenbar, dachte er: Ein Topfhenkel, ein Pfannenstiel kann sich lösen, wenn die Nieten nachgeben, Schläge und Belastung können ihn biegen oder brechen. Der Oklahoma-Panhandle hatte die Formeines nach Westen deutenden Fingers. Der Texas-Panhandle klebte wie ein Flaschenhals an seinem Bundesstaat. Es war nördliches Territorium, anders als das übrige Texas, geometrisch, knochig, Hochland, harter Gesteinsboden, vom Cañadian durchschnitten (in Gedanken ersetzte Bob Leutnant Aberts getilgte Tilde). Diese Gegend war durch ihre Lage auf einer Deckschicht definiert. Wie ein einsamer Baum den Blitz anzieht, zogen die Panhandle-Gebiete Weltuntergangsgewitter, Steppenbrände, höllische Nordwinde, gelbbraune Staubstürme und jedes Jahr eine Abfolge ekelhafter Tornados auf sich. Wenn nachts das Licht gelöscht war und man die Glieder zum Schlafen ausgestreckt hatte, konnte niemand mit Sicherheit wissen, ob er oder sie am nächsten Morgen aufwachen oder inmitten eines Wirbels von Metallteilen und zersplittertem Holz in den Himmel fortgetragen sein würde. Das Leben im PanhandleGebiet war von einem unterschwelligen Gefühl der Ungewißheit geprägt. Waren LaVons Geschichten wahr, dachte er, dann hatten die Leute hier kontrapunktischen Humor und Erzählgabe entwickelt und katapultierten mit ihren zugespitzten Beschreibungen Alltagsereignisse in die mythischen Wolken der Übertreibung.
    Schnell genug ging ihm auf, daß auch Rivalität und üble Nachrede zwischen den beiden Panhandle-Gebieten an der Tagesordnung waren, obwohl man es für einen Ehrenbeweis hätte halten können, daß Oklahoma einen Teil seines Landes nach Texas benannt hatte (»Welthauptstadt für eingerittene Wildpferde«), daß es Ortsnamen wie Texhoma gab oder daß der texanische Panhandle scherzhaft als »Niederoklahoma « bezeichnet wurde. Doch die Texaner mokierten sich über die schlechten Straßen in Oklahoma, schilderten ihre nördlichen Nachbarn als politische Obstruktionisten mit diebischen Gelüsten und als Stimmvieh raffgieriger Politiker.
    »In Oklahoma macht Standard Oil die Ansagen«, sagte Froggy Dibden im Old Dog. »Oil« sprach er aus wie »Awl«.Der schmale Streifen einstigen öffentlichen Landes, das zu keinem Staat oder Territorium gehörte, dieser ausgestreckte Finger Niemandsland blieb abgeschnitten, vom Großteil des Bundesstaates ignoriert. In Guyom erzählte Bob eine Kellnerin, daß sie und ihr Mann einmal nach einer Fahrt von etwa hundert Meilen ostwärts durch ihren Staat das Schild: W ILLKOMMEN IN O KLAHOMA passiert hatten. Hin und wieder war von Leuten aus Oklahoma zu hören, daß der Stiel, Griff oder Henkel der Texaner vor aufgeblähtem Stolz und dem angeberischen Gehabe der unverdient zu Reichtum Gekommenen nur so triefe. Aus den Unterhaltungen am Silo erfuhr Bob, daß die Feindseligkeit sich schon um 1880 eingenistet hatte, als die Rancher Oklahomas die Grenze nach Texas mit Stacheldraht abriegelten, um zu verhindern, daß weiterhin Viehtrecks von texasfieberinfizierten Herden zu ihnen gelangten. Die texanischen Viehtreiber schnitten den Stacheldraht durch und zogen nach Norden, punktum. Außerdem schwärte seit langem die Fehde, welchem der Staaten – Texas oder Oklahoma – Greer County gehörte, ein Streit, der das Gerede noch immer färbte, wie ein paar Tropfen Tinte einem Krug Wasser eine bläuliche Tönung verleihen. Im Panhandle vergaß man nicht.
     
    »Wenn die jungen Leute nicht bleiben wollen, gibt es immer noch genug Rentner, die sich liebend gern aus der Stadt in den Panhandle zurückziehen«, begann LaVon, während sie einen Sandkuchen aufschnitt, »Leute aus Houston und Dallas, die das Licht nicht mehr aushalten. Sie können nachts nicht mehr schlafen vor lauter Licht. Sie kommen von überall. Vielleicht würde ihnen die hügelige Gegend um Austin mehr zusagen, aber die Grundstückspreise dort können

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