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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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sie sich nicht leisten. Auch in unserer Stadt gibt es Leute, die erst vor kurzem hergezogen sind, und das ist gar nicht nach unserem Geschmack. Ja, Mr. Dollar, das hier ist nicht die anonyme Großstadt. Hierdraußen sind alle wie eine große Familie. Jeder kennt jeden, und das war schon immer so. Was wir hier haben und was in den Großstädten unbekannt ist, das ist Gemeinsinn, jawohl.« Denn LaVon glaubte genau wie Bob an die Vorstellung eines harmonischen Landlebens, wo den abgelegenen Farmer und Rancher und den Kleinstadtbewohner nicht lediglich verband, daß sie dieselbe geographische Region bewohnten, sondern vielmehr nachbarschaftliches und wohlwollendes Interesse. Als LaVon ihn mit »Mr. Dollar« ansprach, war ihm unwohl, als stünde ein silberhaariger Mann hinter ihm. Laut sann Bob Dollar darüber nach, ob es die Ruheständler auch deshalb in den Panhandle zog, weil sie dort einer Lebensweise frönen wollten, die von alter Cowboyromantik verbrämt war.
    »Das können Sie laut sagen«, sagte LaVon. »Geschichtsbewußtsein wird bei denen ganz groß geschrieben.«
    Je mehr er nickte, desto mehr erzählte sie ihm von Woolybucket – daß die Zugverbindung 1958 eingestellt und ein Großteil der Gleise in den achtziger Jahren entfernt worden war. Das alte Depot hatte die Woolybucket Historical Society erstanden, deren Mitglieder ihre Sammlung von Gegenständen aus der sogenannten Pionierzeit in dem Raum, der das Telegrafenbüro beherbergt hatte, unterbrachten. Das Depot hieß seither Caprock Museum; allerdings hatte das Museum nur am Wochenende des Vierten Juli geöffnet und am letzten Juniwochenende, wenn das Stacheldrahtfest stattfand. Glanzlicht des Museums war eine Kollektion von alten Schmiedehämmern. Freda Beautyrooms war die führende lokale Geistesgröße, Vorsitzende besagter Historical Society, obgleich die neu hergezogene Betty Sue Wilpin, mit ihrem Ehemann Parch Wilpin von Houston nach Woolybucket gekommen, 1994 versucht hatte, ihr den Rang streitig zu machen. Sie hatte eine jährliche Eiscremeparty eingeführt, bei der es selbstgemachte Eiscremesorten ungewöhnlicher Geschmacksrichtungen gab – Mango, Kakipflaume, Kürbis und Kirsche, Zimtparfait. Parchbereitete das ganze Eiskonfekt höchstpersönlich in den drei Eismaschinen, die er für diesen Anlaß gekauft hatte, denn Geld hatten die Wilpins wie Heu. Die Party war ein großer Erfolg, und vor diesem Hintergrund wagte es Betty Sue, für den Vorsitz der Gesellschaft zu kandidieren; sie warb mit dem Versprechen historischer Veranstaltungen und Aktivitäten, die »Woolybucket aus seinem Dornröschenschlaf reißen« sollten. Sie erlitt eine überwältigende Niederlage, und Freda Beautyrooms wurde zum siebzehntenmal in Folge gewählt. Das Ehepaar Wilpins, zornentbrannt ob dieser sozialen Kampfansage, trat aus der Gesellschaft aus und beschäftigte sich damit, das alte Steinhaus wiederherzurichten, das es gekauft hatte, das frühere Gebäude der Lazy A Ranch, deren zwölftausend Morgen Grund jedoch zu hundertfünfzig Morgen geschrumpft waren, da der Rest seit langem kleinen Ranches und Farmern übereignet war.
    »Parch Wilpin mußte unbedingt eine Auffahrt aus zerstoßenen Austernschalen haben, und fast jedes Wochenende ist er zum Meer gefahren, um Muschelschalen zu holen. Als er mit der Auffahrt fertig war, hat er angefangen, jemanden zu suchen, der das bunte Glasfenster im Haus restaurieren konnte – ein Ochse und darüber das Lazy-A-Brandzeichen. Das Brandzeichen ist natürlich nicht ihr Eigentum, das wurde vor Jahren an Bob Haywood von Tin Can Donkey’s verkauft. Das Problem mit den Pensionären ist, daß sie immer und ausnahmslos alles so haben wollen, wie es da war, wo sie herkommen. Sie wollen National Public Radio. Sie wollen Bioläden. Sie wollen den Houston Chronicle im Briefkasten. Sie wollen Schnapsbuden. Sie wollen Restaurants .« Das letzte Wort sprach sie in einem Ton aus, als wäre es gleichbedeutend mit »Aussätzigenkolonien«.
    Sie seufzte kummervoll. »Und natürlich ist auch nicht immer auf die Leute Verlaß, die hier geboren sind. Die Grenzermentalität heißt, daß man nicht aufgibt, obwohl es aussichtslosist. « Nur unablässige Rückschläge, vom Bankrott bis zum Tod, konnten einen wahren Panhandle-Bewohner entmutigen, sagte sie. Bob solle sich nur das Beispiel Jerky Baums vor Augen führen, um diese störrische Hartnäckigkeit zu begreifen.
    »Jerky hatte zwanzig Jahre lang Kühe, genau wie sein Dad und sein Grainded. Ihre

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