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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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hohe Steinmauer und einen Hof mit zwei, drei schattenspendenden Bäumen. LaVon erklärte, daß vor hundert Jahren der alte Crouch, Taters Großvater, den Entwurf für die Anlage den Motiven auf der Verpackung der Arbuckle-Kaffeebohnen nachempfunden hatte. Die Zwillingsgebäude waren 1974 verlassen worden; damals war die Familie in ein charakterloses Ranchburger-Fertighaus umgezogen, mit zeitgemäßer Installations- und Heizungstechnik und einer Garage mit drei Stellplätzen.
    Als sie im Hof parkten, sagte LaVon: »Und bitte kein Wort über Mrs. Crouch. Die ist letztes Jahr unter schrecklichen Schmerzen von uns gegangen. Für sie war es am besten so, aber Tater hat es fast nicht ertragen. Und davor hat er den einzigen Sohn verloren. Er hat Ochsen zugeritten, und ein großer Braymer mit Namen Grannyknot hat ihn abgeworfen und totgetreten.«
    Eine auffallend geschminkte Frau vorgerückten Alters öffnete ihnen.
    »Hallo, Louise«, sagte LaVon, und daraus, wie die Frau antwortete: »Kommen Sie rein, Miz Fronk«, schloß Bob, daß sie die Haushälterin war. Das Innenleben des Hauses, das aus jedem beliebigen Sunbelt-Vorort hätte stammen können, war so fade wie das Äußere: Zimmerdecken, die man mit der Hand berühren konnte, mit Rauhputz beworfen, in dem glitzernde Plastikstückchen steckten, im Flur ein brauner Teppich mit erkennbarem Trampelpfad zur Küche. An den Wohnzimmerwändenstanden Tische aufgereiht, jeder beladen mit einsturzgefährdeten Bergen von Rechnungsbüchern, Verzeichnissen, Kladden, Karten und Zeitungen, denn Tater Crouch war, wie LaVon auf der Herfahrt erklärt hatte, damit beschäftigt, eine Geschichte der Bar Owl zusammenzustellen, die irgendeine Großnichte, an der Universität von Southwest Texas in einen Kurs für Creative Writing eingeschrieben, im Sommer in eine angemessene sprachliche Form kleiden sollte.
    Bob konnte sich nicht erinnern, je ein ähnlich scheußliches Zimmer gesehen zu haben. Die Wände waren mit einem Muster aus riesigen roten Kolibris tapeziert. Vor dieser Tapete hingen kleine Geweihe, kaum größer als die Hörner eines Spießbocks. Die Vorhänge bissen sich mit den Möbelbezügen, dem karierten Tischläufer und dem bunten Vorleger, als hätte jede Oberfläche ein digitalisiertes Muster verpaßt bekommen. Zwei Bänke waren mit weißem Kunstleder bezogen. Riesengroße Lampen mit orangeroten Fransenschirmen standen auf Tischchen.
    Tater Crouch saß in einem Rollstuhl in der Nähe des Südfensters, von wo er die Einfahrt im Blick hatte.
    »Tater! LaVon ist hier! Tater! « rief die Haushälterin.
    »Das habe ich mitgekriegt. Ich habe sie ja schließlich vorfahren sehen, oder?«
    Der alte Mann wandte ihnen den zusammengefallenen Fußball zu, der sein Gesicht war, eine fast platte Nase, kurzgeschorenes weißes Haar, kurzer weißer Backenbart wie das Fell einer Laborratte. Die Augen waren von dem üblichen texanischen Blau, rotgerändert. Er begann zu husten und spuckte in ein Taschentuch.
    Bob war entsetzt. Er war mit dem Bild des Zwanzigjährigen in den zu engen Jeans hergekommen und sah sich jetzt mit den Veränderungen von sechzig Jahren konfrontiert. An diesem alten Wrack war nichts mehr von dem klaräugigen jungen Mann zu sehen. Bob nahm sich vor, dem Alter ein Schnippchen zu schlagen.
    »Na, Tater«, sagte LaVon, »ich hoffe, Sie haben sich keine Grippe geholt. Ihr Husten klingt böse.«
    »Quatsch, das ist keine Grippe. Kommt von der verdammten Schweinefarm an der Coppedge Road. Die machen den Ventilator an, der Ammoniak und Sulfid rauspustet, und mit dem richtigen Wind, so wie heute morgen, krepieren wir daran fast. Macht uns fix und fertig. Es heißt, daß man davon Lungenentzündung und Gelenkrheuma kriegt. Und daß die Augen ganz gelb werden.«
    Die Haushälterin, die zustimmend nickte, schob seinen Rollstuhl an einen der Tische und machte darauf Platz, damit LaVon die Fotos ausbreiten konnte.
    »Tater, diese Schweinefarmen sind ein Verbrechen. Aber ich weiß nicht, was wir dagegen tun sollen. Jedenfalls habe ich Bob Dollar mitgebracht. Er ist zu Besuch in Woolybucket und wohnt in der Arbeiterbaracke auf der Star Ranch. Dachte mir, er würde Sie gerne kennenlernen. Und wie ich schon am Telefon sagte, geht es um diese Bilder, aus denen ich nicht schlau werde. Scheint, als hätten Sie bei dem einen oder anderen vergessen, die Namen draufzuschreiben. Wissen Sie noch, wer dieser Junge war?« LaVon hielt die Porträtaufnahme von dem blonden Jungen mit dem schwarzen Hut

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